Spätwerk

Henry Hübchen, Ziolkowska, Schily, Käfer, Kleinert. Rettung aus der Ego-Falle?

Foto: SWR / Christiane Pausch
Foto Rainer Tittelbach

Durch einen Unfall mit Todesfolge wird ein von Schaffens- und Sinnkrisen geschüttelter alternder Schriftsteller wieder zum Leben erweckt. Seine Schreibblockade ist weg, und sogar eine weitgehend normale Frau zeigt wieder Interesse an dem Egozentriker. Wie mit Hilfe der Literatur aus dem Unglück des einen das unverhoffte Glück des anderen werden kann, davon erzählt das ARD-Drama „Spätwerk“, die vierte meisterliche Zusammenarbeit von Karl-Heinz Käfer und Andreas Kleinert. Kluge Köpfe, Kommunikation als intelligente Konversation, so etwas ist selten geworden im Fernsehfilm. Der alltagsnahe, fein pointierte Fluss der Gespräche und die Montage, die sich der klassischen Spannungsdramaturgie verweigert, sind eine wahre Wohltat. Die Bildsprache ist klassisch gut, unaufdringlich, stets stilvoll, die Dialog-Wechsel sind köstlich, das Schauspieler-Trio unvergesslich und die Geschichte reich an Lesarten.

Ein alternder Schriftsteller überfährt einen jungen Mann und könnte gerettet werden
Paul Bacher (Henry Hübchen) hat schon bessere Zeiten gesehen. Der Schriftsteller steckt in einer Schaffens- und Sinnkrise. Seit Jahren plagt ihn eine Schreibblockade, die zunehmende Vergreisung seiner schrumpfenden Fan-Gemeinde spiegelt ihm aber auch das eigene Alter zurück. Bacher versteckt seine Ängste hinter seinem Zynismus – und er trinkt. Seine Lektorin und Teilzeitgeliebte Hannah (Jenny Schily) hat seine ironische Eloquenz jahrelang genossen, jetzt hat selbst sie Zweifel, ob er aus seinem Tief herauskommen wird. Sein Leben ist zwar öde und langweilig, ihm fehlt jede Motivation, doch auf die „Abwechslung“, die ihm jetzt droht, hätte er gern verzichtet. Auf einer seiner beschämenden Lesereisen in die Provinz nimmt Bacher einen Tramper (Jordan Dwyer) mit. Die Begegnung endet tödlich. Ein Unfall, eine Unachtsamkeit – und natürlich war Alkohol im Spiel. Bacher geht wenig zielgerichtet vor, behält die Tat für sich, wird noch depressiver. Mit der Leiche im Kofferraum und zu viel Promille im Blut steht er eines Nachts ohne Führerschein da. Er erinnert sich an Teresa (Patrycia Ziolkowska), eine an Literatur interessierte Frau, die er vor wenigen Tagen bei einer Lesung kennengelernt hatte. Obwohl er am Ende eines netten Abends seinen Schriftsteller-Charme überschätzt und sie brüskiert hatte, hilft sie ihm aus der Bredouille. Die Nacht endet im Vollrausch. Tage später düpiert Bacher seine Retterin abermals. Aber er bleibt dran, hat offenbar Gefallen an ihr gefunden. Ist das der Beginn einer wunderbaren Liebe?

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Lektorin und Teilzeitgeliebte Hannah (Jenny Schily) macht sich Sorgen um Bacher (Henry Hübchen), der depressiv ist, mehr denn je trinkt und nicht mal mehr Lust auf Sex hat. „Ich biete dir diese phänomenale Mischung aus Esprit und Sinnlichkeit. Und du lässt mich hier im Schlüppi stehen.“ Nur einer dieser vorzüglichen Dialogzeilen.

Der neue Roman dämpft die Schuldgefühle – und eine junge Frau besorgt den Rest
Der auf sein Ego fixierte Schriftsteller und die mindestens 30 Jahre jüngere Lehrerin, die zur möglichen „Heilerin“ seiner desolaten Seelenlage auserkoren ist, kommen in dem ARD-Fernsehfilm „Spätwerk“ auf jeden Fall zusammen, zwar spät, aber es bleibt genügend Zeit, die Zweifel, dass eine solche Beziehung eine Zukunft haben könnte, zu nähren oder sie auszuräumen. Drehbuchautor Karl-Heinz Käfer lässt nie einen Zweifel daran, dass sich die Geschichte um jenen Schriftsteller dreht, der ein Leben lang nur für sich selbst Verantwortung übernommen hat. Im etwas selbstgefälligen Bacher-O-Ton hört sich das dann so an: „Ich bin nicht masochistisch genug für die Ehe.“ Mit dem Alter aber fällt ihm die Sorge um sein eigenes Wohl immer schwerer, sodass er sich quasi eine weibliche Hilfskraft suchen muss. Allerdings ist jene Teresa (nomen est omen!) mehr als das naive Dummchen, für das sie die eifersüchtige Lektorin hält. Von einer „schlimm gescheiterten Ehe“ spricht Teresa, ergeht sich in Andeutungen über einen vermutlich gewalttätigen Ehemann. Diese Beziehung muss tatsächlich „schlimm gescheitert“ sein: Würde sich sonst diese Frau, die sich trotz allem ihre Offenheit und Lebendigkeit größtenteils bewahrt hat, auf diesen larmoyanten alten Mann einlassen!? Selbst der Ratschlag Bachers, dass man Schriftsteller lesen, nicht aber persönlich kennen sollte, schreckt sie nicht. Offensichtlich begegnen sich hier zwei Menschen, die sich gleichermaßen brauchen. Auch Teresa ist eine Ertrinkende. Und Bacher gibt ihr das Gefühl, wichtig für ihn zu sein. Er will sich sein Glück nicht mehr nehmen lassen, und bald kann er sogar wieder schreiben. Weil einem das Leben nur selten eine solche Steilvorlage für einen „Roman“ schenkt, verfasst er eine knappe, für ihn ungewöhnlich formlose Erzählung über den Todesfall und seine unmoralische Verarbeitung. Will er vielleicht mit dieser literarischen Beichte sein Trauma dämpfen und sich von seiner Schuld befreien? Oder legt er hier ein Geständnis ab, kultiviert er quasi noch einmal sein Motto „Was nicht zum Leben taugt, taugt fürs Schreiben“? Oder wollte er, als er zu schreiben begann und sein Glück mit Teresa noch nicht absehbar war, vielleicht sogar unbewusst, dass alles endlich ein Ende hat?

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Das zweite Treffen. Der Verlorene & seine Retterin. Offenbar braucht auch Teresa diesen Mann. „Licht am Anfang des Tunnels“ will Bacher sein Buch nennen.

Offene Dramaturgie: Jeder kann sich auf diesen Bacher selbst (s)einen Reim machen
Wie die Motive des Helden mehrdeutig bleiben, so deutet die Geschichte auf der Zielgeraden mögliche Lösungsvarianten an und bleibt am Ende angenehm offen. Auch viele Szenen des Films enden – trotz des vermeintlichen Krimidrama-Sujets – ohne deutlichen finalen Drive. Dadurch ergibt sich eine Narration der kleinen Überraschungen, ein lockerer Erzählfluss jenseits kausaler Krimi-Logik, ein Geschehen, das dem Zuschauer ausschnitthaft präsentiert wird, subjektiv, aus der Perspektive der Hauptfigur. Existentielles steht im Mittelpunkt dieser auf Essentielles abzielenden Film-Erzählung, die einem Mann wie Bacher entspricht: Der taumelt anfangs von einer Krise in die nächste, behält aber das Heft des Handelns stets in der Hand, mag dieses Handeln bisweilen noch so konfus sein. Die Spannung wird dem Zuschauer weniger durch die Dramaturgie nahegelegt, ergibt sich vielmehr durch das Interesse an diesem Mann und der Frage, wie er sich wohl aus der Affäre ziehen wird. „Frühwerk“ ist pures Drama, kein Krimi-Drama. Brenzlige Situationen mit der Polizei oder auch Teresa, die einmal kurz davor ist, den Kofferraum zu öffnen, in dem der tote Tramper liegt, werden nicht ausgespielt. Das aber ist keineswegs ein dramaturgisches Manko. Käfer geht es um das Psychogramm eines zu scheitern drohenden Schriftstellers. Und dennoch dürfte der Suspense beim mehrwissenden, auf Krimi konditionierten Zuschauer ein Rezeptionsfaktor bleiben.

Narrative Logik: eigenes Glück durch fremdes Unglück?
Durch den Unfall mit Todesfolge wird der krisengeschüttelte Schriftsteller wieder zum Leben erweckt. Mit Hilfe der Literatur könnte also aus dem Unglück des einen das unverhoffte Glück des anderen entstehen. Das wäre die wertfreie, systemische Lesart. Aber was ist ein solches Glück wert? Wahrscheinlich wird dieser Mann allein bleiben mit seinem Geheimnis. Mag das äußere Glück noch so groß erscheinen und für den (geläuterten?) Egozentriker die Rettung bedeuten – menschlich würde er mit seinem Schweigen einen hohen Preis bezahlen: Liebe hin oder her – aus der Einsamkeits- & Ego-Falle kommt der Mann einfach nicht raus. Ergebnis dieser psychologischen Lesart: Er bleibt mit sich & seiner Schuld allein.

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Billige Hotels, schlechtes Essen, immer älter werdende Zuhörer: Diese Lesereisen will sich Bacher (Henry Hübchen) nicht mehr antun. Was bleibt ihm vom Leben? Nicht viel. Mit den Menschen hat er es nicht so, ihm sind seine Romanfiguren näher.

Lauter köstliche Dialoge. „Trinkst du wieder?“ Antwort: „Ich habe nie aufgehört.“
Karl-Heinz Käfer hat ein ausgesprochen vielschichtiges, auch in den Details stimmiges Drehbuch geschrieben. Außergewöhnlich gut ist besonders das, was er den Charakteren in den Mund legt. Das sind mal längere, fein akzentuierte Solos, passend zum Ego-Künstler. „… Ich komme mir vor wie ein Verkäufer auf einer Butterfahrt. Statt Wärmedecken versuche ich Senioren meinen Roman anzudrehen. Aber die quengeln nur rum, finden, dass er nicht genug wärmt…“, jammert Bacher seiner Lektorin vor. Das ist wunderbar anschaulich und die Temperatur-Metapher besitzt sogar noch einen Bezug zu seiner „Signierstunde“ einige Szenen zuvor: „zu ironisch, zu kalt“, empfindet eine ältere Dame seine letzten Romane. „Nehmen Sie das als meinen Beitrag zur Erderwärmung“, erwidert er lächelnd. Noch köstlicher sind einige Dialogwechsel. Frage: „Trinkst du wieder?“ Antwort: „Ich habe nie aufgehört.“ Es dauert, bis Teresa längerfristig in Bachers Leben tritt. Einmal ruft sie ihn an. Er grummelt: „Ich bin mitten in einem Satz“. Sie: „Sie können mich ja mal zurückrufen, wenn Sie einen Punkt gemacht haben. Muss aber nicht sein.“ Er ruft zurück. Sie plaudern später über Schreibmaschinen und Schriftsteller. „Hemingway hat auch getrunken“, sagt sie. Darauf er: „Sie schaffen es noch, dass ich mir darauf etwas einbilde.“ Kluge Köpfe, Kommunikation als intelligente Konversation, so etwas ist selten geworden im Fernsehfilm. Im Krimi sind Dialoge informationsgesättigt & zielgerichtet, im Krimi-Drama oft abgehoben & verkünstelt. Dagegen ist der alltagsnahe, fein pointierte Fluss der Gespräche in diesem Film eine wahre Wohltat.

Eine unaufdringliche, klassisch gute Bildsprache & ein ziemlich unvergessliches Trio
Und doch ist „Spätwerk“ kein typischer Dialogfilm. Schauspieler-Regisseur Andreas Kleinert, der zuletzt mit seiner kraftvollen freien Theaterstück-Adaption „Hedda“ aus dem Fernsehfilm-Rahmen fiel, konnte sich einmal mehr auf Käfers Vorlage verlassen. Zum vierten Mal haben hier die beiden zusammengearbeitet; Fernsehgeschichte geschrieben haben die Götz-George-Dramen „Mein Vater“ und „Nacht ohne Morgen“. Mit seinem Stamm-Kameramann Johann Feindt findet Kleinert auch in seinem neuen Film eine unaufdringliche, dem Stoff adäquate Umsetzung. Die Bildsprache ist klassisch gut und stets stilvoll. In den Dialogszenen wahrt die Kamera Distanz; das ist anders in den Momenten, in denen die Hauptfigur die Folgen ihres tragischen Aussetzers ausbügeln muss. Der Film ist insgesamt weniger düster als viele der früheren Dramen Kleinerts, die sich auch schon mal an der Tristesse des Erzählten weideten. Bachers Ironie und sein Zynismus, aber auch der unbedingte Lebenswille, ja die Unverzagtheit, anfangs allein verkörpert von der Enddreißigerin Teresa, sorgen für ständige Stimmungswechsel der Figuren und für verschiedene Tonlagen des Films. Der Grundton aber ist melancholisch. Zum Schluss das, was einem als Zuschauer wohl als erstes bei „Spätwerk“ auffällt: das großartige Schauspieler-Trio. Henry Hübchens aufreizend verkörperte Coolness, Patrycia Ziolkowskas („Auf der anderen Seite“) feine Nuancen im Mienenspiel, mit dem sie bzw. Teresa auf das eigensinnige Gegenüber reagieren muss, und die Abgeklärtheit, mit der Jenny Schily ihre Lektorin spielt – das bleibt noch über das Filmende hinaus in Erinnerung.

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Fernsehfilm

SWR

Mit Henry Hübchen, Patrycia Ziolkowska, Jenny Schily, Jordan Dwyer, Michael Schenk, Tom Sommerlatte, Nora Hickler, Carolin Wiedenbröker

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Myrna Drews

Kostüm: Andrea Schein

Schnitt: Gisela Zick

Musik: Daniel Dickmeis

Redaktion: Brigitte Dithard

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Ernst Ludwig Ganzert

Drehbuch: Karl-Heinz Käfer

Regie: Andreas Kleinert

Quote: 2,17 Mio. Zuschauer (7,6% MA)

EA: 16.05.2018 20:15 Uhr | ARD

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