Während ein Elternabend in einem privaten Kindergarten wegen eines beißenden Jungen zu eskalieren droht, geht es bei den daheim gebliebenen Elternteilen noch heftiger zur Sache: Sex, Streit, Spott, ein heftiger Schlag – dann erfasst ein Pkw Ella Werken, die Mutter der zweijährigen Lara. Die Frau hatte ein Verhältnis mit Tobias Steier, dem Ehemann der Kindergartenleiterin Valeska Steier. Beider Sohn Bruno ist das besagte Problemkind – der Junge hat während des Schäferstündchens mal wieder zugebissen. Der Lebensgefährte der Ermordeten wird festgenommen. Seine Ex-Frau schlug er grün und blau; an seine Selbsttherapie mit Kindergarten und Puppenspiel will Kommissar von Meuffels nicht glauben. Der hat bald die kleine Lara am Hals – und stößt an seine Grenzen. Am zweiten Tag soll im Kindergarten alles wieder den gewohnten Gang gehen, denn Lara hat Geburtstag. Ihr Vater ist wieder auf freiem Fuß und er will der Tochter eine Geburtstagsüberraschung bereiten. Doch von Meuffels hat allen Grund zur Annahme, dass es ein blutiger Festtag werden könnte.
„Selten habe ich Situationen erlebt, die so von Aggressionen geschwängert waren wie Elternabende“, sagt Matthias Brandt im BR-Interview. Eltern, die für ihre kleinen Engel nur das Beste wollen, sind von daher kein schlechtes Umfeld für den Münchner „Polizeiruf 110“, der stets das menschliche Drama sucht und gern auch die gesellschaftliche Komponente hinter einem Mord aufspürt. „Ich werde meinem Kind keinen Maulkorb verpassen“, schreit die Mutter des „Beißers“. Da ist von Anfang an viel Wut im Spiel, eine explosive Stimmung ist spürbar, die durch zahlreiche Rückblenden, Raum- & Zeitsprünge und die sehr suggestive Bildsprache noch verschärft wird. Und auch der häufig in formvollendeter Distanz zum schnöden Geschehen agierende von Meuffels bekommt etwas zu spüren von der Psychologie der Kinderfürsorge. Im Auto ist noch alles ganz entspannt; da läuft die Cassette von „Peter und der Wolf“ statt Bob Dylan. Später im Supermarkt sieht man den sonst so aufgeräumten Kommissar dann emotional völlig überfordert – aggressiv motzt er die Verkäuferinnen an.
Regisseur Leander Haussmann über das Filmthema:
„Es geht um das Bemühen, den Kindern eine so schöne Kindheit wie möglich zu bereiten. Dahinter stecken Verdrängung und die Verlagerung der eigenen Sehnsüchte, die man auf die schmalen Schultern der Kinder legt.“
„Dadurch, dass wir unsere Kinder so zwanghaft entlasten wollen, belasten wir sie vielleicht gerade umso mehr. Nicht zuletzt deshalb, weil wir uns selbst nicht ausleben und einen nervigen Druck auf unsere Kinder ausüben.“
„Wir singen oft Wiegenlieder für unsere Kinder, damit wir selbst einschlafen können.“ Die dem Film vorangestellte Sentenz verdeutlicht, worum es in der Geschichte vom „Kinderparadies“ neben der möglichst schönen Kindheit für die Kleinen auch geht: um das Befinden der Eltern. Zu Beginn singen Mütter und Väter Kinderlieder, um so die Perspektive ihrer Liebsten einnehmen zu können, wie die Hort-Leiterin erklärt. Doch dieser kindliche Blick bedeutet auch: die Augen vor der Realität verschließen. Im konkreten Fall: die Aggressionen des eigenen Kindes klein und die Affäre des Ehepartners schön reden. Das Kinderparadies ist ein Traum von Erwachsenen, die aus dem Paradies vertrieben sind, ein letzter Fluchtpunkt für die Träume von Harmonie und Familie, von Glück und Geborgenheit. Das weiß auch der von Matthias Brandt gewohnt hypersensibel und zwischentonstark gespielte Hanns von Meuffels („Man kann niemanden lieben, wenn man sich selber hasst“), der in seinem sechsten Fall etwas mehr von seinem trockenen, hinterfotzig intellektuellen Humor einbringen darf.
Daniel Nocke hat dieses gesellschaftliche Phänomen der kindlichen Überbetreuung und Überförderung und der sich daraus ergebenden Überforderung der Eltern intelligent in ein Krimi-Szenario eingewoben. So wie sich zerstrittene Elternteile in der Regel bemühen, ihren Kindern so wenig wie möglich von ihrer gegenseitigen Verachtung zu zeigen, so ist das sehr komplex mit Rückblenden erzählte, nervenaufreibende große Finale im Kindergarten entsprechend gekennzeichnet von dem Bemühen, das blutig ernsthafte Spiel auf Leben und Tod nicht an die kleine Lara herankommen zu lassen. Fazit: Auch dieser BR-„Polizeiruf“ von Leander Haußmann ist außergewöhnlich. Ein filmisch wie psychologisch dichtes Krimidrama mit den Top-Gastschauspielern Annika Kuhl, Lisa Wagner und Johannes Zeiler („Faust“) und einem magischen, an Kinder(schlaf)liedern orientierter Score, der unter die Haut geht.