Lisa Brenner wächst der Fall über den Kopf – und sie fühlt sich mitschuldig
Es beginnt mit dem Mord an einem Polizisten. Ein Kleinbus mit Flüchtlingen aus Afrika hat es bis an die polnische Grenze geschafft. Dort wird der Wagen unglücklicherweise von einem Polizeibeamten angehalten und Ex-Söldner Novak (Robert Palfrader) fackelt nicht lange. Das alles wissen Erichsen (Armin Rohde) und sein Team noch nicht, auch nicht, dass am Steuer ein alter Bekannter von ihm sitzt: Kevin König (Florian Lukas). Der Kleinbus wird wenig später in Hamburg gefunden – so kommt das KDD-Team ins Spiel. Da die Neuankömmlinge junge traumatisierte Frauen aus Syrien sind, Odile Bakri (Pegah Ferydoni) und Soraya Younes (Mona Pirzad), also etwas weibliches Feingefühl nicht verkehrt sein dürfte, und weil Lisa Brenner (Barbara Auer) die Leiterin der Erstaufnahme (Maja Maranow) von früher her kennt, übernimmt die Polizeipsychologin mehr und mehr den Fall. Doch dieser wächst ihr emotional über den Kopf. Als zwei weitere Menschen sterben, fühlt sie sich mitverantwortlich. Noch am Tatort lässt sie ihrem Frust verbal freien Lauf: „Die Toten grinsen mich an. Wie immer komm’ ich zu spät. Ein Mord zu viel, das kotzt mich an, das muss ich dringend ändern.“ Ein paar Tage später dann sitzt Lisa Brenner im Vernehmungsraum der inneren Abteilung.
Befand sich die Polizistin in einer Notwehrsituation oder hat sie Selbstjustiz geübt?
„Wir ermitteln wegen fahrlässiger Tötung – eine reine Routineangelegenheit“, sagt der Polizeirat auf der anderen Seite des Tischs. Von wegen. Die zentrale Figur der „Nachtschicht“ von 2016 ist sichtlich psychisch unter die Räder gekommen – und hat offenbar etwas getan, was ihr nicht als Notwehr, sondern als Selbstjustiz ausgelegt wird. Autor-Regisseur Lars Becker führt den Zuschauer langsam heran an das Geheimnis der Lisa Brenner. Die Handlung ist als Rückblende erzählt, in die die Vernehmungssituation immer wieder geschickt eingeflochten wird, um Gedanken und Motive für das Handeln der Polizistin zu verdeutlichen. Der Titel „Der letzte Job“ klingt für die Polizeipsychologin weniger vielversprechend als das klug gebaute Krimi-Drama für den Zuschauer ist. Allerdings spiegelt der Titel auch die Verfassung der „Heldin“ wider, die eben alles andere als eine Heldin ist. „128 Fälle in zehn Jahren, lächerliche 25 Verurteilungen, ziemlich beschissene Bilanz“, resümiert sie ihre Arbeit. und so spielt sie selbst mit dem Gedanken, den Job beim KDD hinzuschmeißen. „Du willst deinen Rauswurf provozieren?“, glaubt Erichsen ihre Strategie erkannt zu haben. Doch er will auf seine beste Mitarbeiterin nicht verzichten und hat noch einen Trumpf im Ärmel.
Foto: ZDF / Andreas Schlieter
„Die haben so viele Morde gesehen, da spielt der eine von uns keine Rolle mehr“
Lars Becker war sich offensichtlich seiner Verantwortung bewusst, die man auch in einem Krimi gegenüber einem so brisanten aktuellen Thema und den furchtbaren menschlichen Schicksalen dahinter als Filmemacher besitzt. In kurzen Gesprächen wird angedeutet, was den Menschen passiert ist. Sie waren Augenzeugen, als ihre Liebsten ermordet wurden. Auch wenn Christoph Letkowskis Krause zu „Der letzte Job“ nicht viel beitragen muss, so bringt doch sein beiläufiger Erklärsatz die Probleme, die die Kommissare bei ihren Ermittlungen haben, auf den Punkt: „Die haben schon so viele Morde gesehen, da spielt der eine von uns auch keine Rolle mehr.“ Und das Martyrium geht weiter. Davon erzählt diese „Nachtschicht“. Die Frauen haben Schulden bei den Schleusern. Auf der anderen Seite gibt es genügend Single-Männer, die sich gern hübsche exotische Frauen „halten“, selbstverständlich mit Trauschein. Da kommt ein sehr geschäftstüchtiger, jovialer Menschenhändler ins Spiel. Der nennt die Fahrten seiner Schleuser „Hochzeitstouren“. Doch auch ihm läuft die Sache aus dem Ruder. Seine Eheanbahnungsagentur wird zum Beerdigungsinstitut; noch bevor die Hochzeitsglocken läuten, wird bereits für das Paar ein gemeinsames Grab geschaufelt.
Verbrechen ist Alltag – das macht Beckers Geschichten überraschend & lebendig
Wie häufig in der „Nachtschicht“ schaut auch diese, die dreizehnte, Episode dem Verbrechen bei der Arbeit zu. Im normalen Leben geht so vieles schief – weshalb sollte dann in der ordinären Kriminalität des Alltags alles glatt laufen?! Ohne dass man mit ihnen gleich sympathisieren würde, bringt Lars Becker einem so auch die Täter näher. Nicht biographisch, aber als markante Typen. Das und dass er nicht sofort mit der moralischen Keule kommt, macht die Interaktionen überraschend, seine Geschichten lebendig. In welcher anderen Krimi-Reihe kann es passieren, dass eine sturzbetrunkene Kommissarin mit den Tätern, denen (noch) nichts nachzuweisen ist, in einer Kneipe lallenderweise am Tisch sitzt?! Bei „Nachtschicht“ geht das. Denn eines sind Lars Beckers Krimis eben auch immer: Polizeifilme, Genre-Erzählungen, Tonlagen-Mixturen, denen ein leicht ironisches Augenzwinkern nicht fremd ist. Und auch dieser Verantwortung gegenüber seiner ZDF-Ausnahme-Krimi-Reihe kommt Becker in „Der letzte Job“ nach. Das ist vornehmlich Armin Rohdes Aufgabe, aber auch der dreifache Mörder – stark: Robert Palfrader als Ösi fürs Grobe – darf da seiner Menschenverachtung ironisch bis zynisch Ausdruck verleihen. Und selbst Barbara Auer spielt ihre Kommissarin, die sogar mit dem Gedanken spielt, eine syrische Vollwaise zu adoptieren, nicht mit eindimensionaler Betroffenheitsmiene, sondern zeigt mindestens zwei Gesichter: das angespannte, das wütende, das sich selbst Vorwürfe machende und das vermeintlich coole, das abgeklärte, hinter dem die Figur ihre Erschöpfung & Müdigkeit zu verstecken versucht. Und dann ist da noch der weibliche Trotz, mit dem sie Dienstanweisungen „überhört“.
Foto: ZDF / Andreas Schlieter
Soundtrack: 4 Non Blondes („What’s Up“), The Jon Spencer Blues Explosion („Bellevue Baby“), The Clash („Police and Thieves“), Dan Auerbach („Keep it Hid“), Juicy Lucy („She’s Mine, She’s Yours“), The XX („Shelter“), The Broken Bells („The High Road“)
Lars-Becker-typische Gratwanderung zwischen Drama & Krimi, Realität & Genre
Stärker als gewohnt liebäugelt dieser Krimi also mit dem Drama. Emotional wird es, wenn die Flüchtlingsfrauen ihre Schicksale andeuten. „Was haben sie mit dir gemacht?“, fragt der sunnitische Bräutigam in spe, „alles“, antwortet die ihm versprochene Syrerin. Dass sehr „menschlich“ in die Handlung eingeführte Figuren im Film sterben müssen, ist in deutschen Krimi-Reihen zu recht eher selten. Weil Autor-Regisseur Becker aber seine Gratwanderung zwischen Drama und Krimi, Realität und Genre beherrscht, bricht eine solche Situation der Filmerzählung emotional nicht das Genick. Dafür darf es dann umso gefühliger werden, wenn die kleine Tochter der Frau ins Spiel kommt. Auch in der Schlussszene. Diese Bilder sollen den Zuschauer verständlicherweise einerseits etwas versöhnlich aus dem Film entlassen, sie betonen außerdem den Zusammenhalt der KDDler, das Serielle und die Fiktionalität des Films, aber nicht ohne die deutsche Wirklichkeit gleichermaßen ins Bild zu rücken: Erichsen & Co verlassen zufrieden die Flüchtlingsunterkunft, während die Schlange mit Asylantragsstellern immer länger wird. Bei aller gesellschaftspolitischer Relevanz ist die Spannung des Films hoch und vielschichtig: zum einen fiebert man Lisa Brenners „Vergehen“ entgegen, zum anderen sind die drei Handlungsstränge, Ermittlung, Verkupplung und Zeugenbeseitigung, ebenso originell wie erzählökonomisch miteinander verknüpft. Der Zuschauer ist den Kommissaren, was das Fall-Wissen angeht, weit voraus. Das mindert die Spannung nicht, im Gegenteil: das WIE und WANN sind die spannungsentscheidenden Fragen. Im Schlussdrittel verlagert sich die Handlung in Richtung KDD-Revier. Dort gehen dann die schlimmen Finger ein und aus.
Mit über 50 macht sich eine Polizistin Gedanken – aber auch eine Schauspielerin
Der Film ist trotz Rückblendentechnik dramaturgisch klassischer gebaut als die meisten anderen Filme der Reihe, die in der Regel mit zehn, zwölf Stunden erzählter Zeit auskommen und die die kleinen Dramen, die in einer Nacht sich parallel ereignen, häufig in den Mittelpunkt stellen. Auch der „Nachtschicht“-Vorspann wurde dem „letzten Job“ geopfert. Dass der Film – der Titel würde es nahelegen – der Abgang von Barbara Auer aus der ZDF-Reihe ist, die 2005 nach drei Filmen mit Katharina Böhm deren Rolle als Polizeipsychologin übernahm, muss erfreulicherweise nicht angenommen werden. Im Presseheft-Interview sagt sie zwar, „ich war eine Zeit lang unsicher, ob ich weitermachen will, aber da diese Reihe besonders ist und jede neue Folge ein anderes Genre als die vorige, bin ich in der nächsten ‚Nachtschicht’ gern auch wieder dabei.“ Sicher hat dieser Film, der aussieht wie ein „Geschenk“ von Becker an seine Hauptdarstellerin, für deren Rolle er zumeist mehr teamintern (erst musste sie Erichsen bremsen, später Rücken-Deckung geben) als „kriminalistisch“ Futter fand, dazu beigetragen, dass Barbara Auer an Bord bleibt. Vielleicht trifft aber auch Brenners erster Satz im Film nicht nur zu auf Polizisten, sondern auch auf Schauspieler, die die Fernsehlandschaft realistisch einschätzen: „Irgendwann fragt sich jeder Polizist, ob es nicht besser wäre, aufzuhören, aber plötzlich weiß man, dass das nicht so einfach ist.“ (Text-Stand: 9.1.2016)