„Welche Schauspielerin tritt schon seelisch nackt vor den Regisseur! Aus dieser Intimität heraus haben wir, ein Ergebnis geformt, das das Publikum und die Presse spüren werden.“ Diese Sätze schrieb der Regisseur Wolfram Paulus ein halbes Jahr nach den Dreharbeiten zu dem ARD-Film „Mathilde liebt“ an seine Hauptdarstellerin. Das Kompliment für Christiane Hörbiger und die Prognose für die Wirkung des Films kann man nur ganz dick unterstreichen. Diese Hörbiger ist immer wieder eine Wucht. Und der Film besitzt bei aller Alltäglichkeit eine seelische Intensität und Wahrhaftigkeit, die selten geworden ist in Fernsehfilmen.
Auch für die österreichische Schauspielerin mit Schweizer Pass und größter Beliebtheit in Deutschland war „Mathilde liebt“ etwas Besonderes. „Ich bin in einem Film noch nie so weit gegangen wie in diesem“, sagt Hörbiger. Das glaubt man ihr gern. Ist doch die 67-Jährige, die für gewöhnlich die klassische Dame gibt und deren Figuren immer eine Spur Reserviertheit besitzen, hier als Witwe zu sehen, die mit 65 Jahren erstmals körperliche Liebe genießt und deren ihr den Weg weisender One-Night-Stand im Film ohne Körperdouble gezeigt wird. „Mathilde hat eine ganz biedere Ehe geführt, bis sie als Witwe die große Liebe trifft. Zuerst ist ihre Liebe körperlich, doch dann liebt sie mit Körper und Seele“, so beschreibt Hörbiger den Inhalt des Films. Sehr viel mehr passiert nicht, sieht man von einem anderen Mann ab, in den sie sich zwischenzeitlich auch verliebt. Der Film zeigt, dass die Liebe im Alter genauso prickelnd, verrückt und schmerzlich sein kann wie in jüngeren Jahren. Hörbiger sieht darin die richtige Botschaft. „Wenn man liebt, hört das nie auf. Liebe hängt nicht an den Jahren.“
Die Inszenierung des Films ist unauffällig. Das entspricht der Hauptfigur. Mathilde ist eine normale bürgerliche Frau, mit dem Unterschied, dass sie sich im Gegensatz zu ihren Altersgenossinnen die Freiheit nimmt, Gefühle und Leidenschaft zu leben. Sie entspricht nicht dem Abziehbild des rüstigen, ewig gut gelaunten Rentners, der sein Seelenheil im Abfeiern und Verreisen sucht. Sie ist ein stiller, nachdenklicher Mensch. Trotz neuer Liebe spürt man, wie diese Frau auch noch die Liebe zu ihrem verstorbenen Ehemann in sich trägt. Man spürt aber auch das zunehmende Selbstbewusstsein der Witwe. Sie lernt mehr und mehr, für sich selbst zu entscheiden. Was soll sie sich von ihren Kindern oder Nachbarn vorschreiben lassen, wie sie ihre letzten Jahre zu leben habe.
Mitunter hat sie auch erkennbaren Spaß daran, ihre Nächsten „ein bisserl“ zu provozieren. „Hattest du eigentlich schon mal einen Orgasmus?“, fragt sie gespielt selbstverständlich eine ihrer Töchter. „Eine tolle Sache“, seufzt sie und ein wohlig-spitzbübisches Lächeln huscht ihr über die Wangen. Solche Gesten sind die Stärke von Christiane Hörbiger. Dazu dieser Blick einer reifen Frau, die immer noch imstande ist, sich zu verzehren für den anderen, die aber auch ein großes Verantwortungsbewusstsein besitzt. Michael Mendl spielt Mathildes neue Leidenschaft, Elmar Wepper ist der Mann, den sie mag, aber der ihr Herz nicht zum Rasen bringt. Beide machen wie Mathilde selbst nicht viele Worte. Ihre Figuren lieben. Und in der Liebe regieren die kleinen Dinge, die Gesten, die Blicke, die Berührungen. „Mathilde liebt“ nach dem Drehbuch von Matthias Glasner ist ein Liebesfilm. Einer über echte Gefühle.