Füxe

Valon Krasniqi, Lehmann, Sack, Samadi, David Clay Diaz. Traum vom sozialen Aufstieg

Foto: ZDF / Tatiana Vdovenko
Foto Rainer Tittelbach

Was im Krimi oder Gangsterfilm der Kiez, die Mafiafamilie oder der syrische Clan sind, das sind in der ZDF-Serie „Füxe“ (U5 Filmproduktion) die sauffreudigen, elitären Burschenschaftler und ihre rückwärtsorientierten Rituale. In dieser streng hierarchischen Welt aus Pflicht, Respekt und Gehorsam muss sich die Hauptfigur, ein sympathischer Kosovo-Deutscher, der sich nach Nähe und Gemeinschaft sehnt, erst einmal zurechtfinden. Dass er sich Adam Kamer statt Adem Kameri nennt – das dürfte sich noch rächen … „Füxe“ ist eine ungewöhnliche Serie. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe, um Klassismus und Elite-Bewusstsein. Das Ergebnis aber ist weder ein pädagogisch motiviertes Themen-Vehikel noch ein naives Sozialmärchen. Mit drei Stunden hat die Serie die richtige Länge, und die Aufteilung in vier Folgen entspricht dem Erzählten. Die vier Hauptrollen, allen voran Valon Krasniqui, der eine durchaus ambivalente Identifikationsfigur abgibt, sind glänzend besetzt, das Spiel ist mehrschichtig und das Milieu sorgt für mehr als für wohlfeile Stereotypen. Ähnlich zurückhaltend und angenehm sachlich ist die Inzenierung, die auch schon mal mit einer wunderbar luftigen, dreieinhalbminütigen Love-Interest-Einstellung überrascht.

Anfangs ist es eine Notlösung: Weil Adem (Valon Krasniqi), den es aus seiner Heimatstadt Köln nach Marburg verschlagen hat, keinen WG-Platz findet, heuert er bei einer Studentenverbindung an. Ein Zimmer für 150 Euro, dazu Gemeinschaftsräume wie in einem britischen Club – diese Art Traditionspflege lässt er sich gern gefallen. „Weltoffen, und jeder ist willkommen“, wie es auf der Internet-Plattform der Gothia heißt, und Glaubenssätze wie „Hier sind alle gleich“ und „eine echte Gemeinschaft“ klingen für den Deutschen mit kosovarischen Wurzeln erst mal gar nicht verkehrt. Und die Studenten selbst? „Senior“ Paul (Ferdinand Lehmann) gibt sich kumpelhaft und Jung-Fux Sven (Kasimir Pretzschner) ist nett und unbedarft. Mit seinen Sprüchen gewöhnungsbedürftiger ist hingegen Timo (Michael Schweisser), und unschlüssig ist Adem, was er von „Kon-Senior“ Vincent (Vito Sack) und seinem Hang zu Mensur-Ideologie und vollem Ornat halten soll. Dass er allerdings einen falschen Namen angibt: Adam Kamer statt Adem Kameri – das dürfte ihm noch auf die Füße fallen. Denn über die Gothia hat der ehrgeizige „Adam“ auch einen lukrativen Job bei einem millionenschweren Vermögensverwalter bekommen. Dass dieser Alfons (Richard von Weyden) der Vater von Paul ist, der stark unter dessen überzogenen Ansprüchen leidet, sorgt für weiteres Konfliktpotenzial, ebenso, dass Adem seiner Uni-Bekanntschaft Mina (Roxana Samadi) seine neue Unterkunft verheimlicht.

FüxeFoto: ZDF / Tatiana Vdovenko
Party in der Corps-Villa. Mit einer attraktiven Frau wie Mina (Roxana Samadi) steigt noch das Ansehen, das Adam (Valon Krasniqi) ohnehin schon in der Gruppe genießt.

Was im Krimi oder Gangsterfilm der Kiez, die Mafiafamilie oder der syrische Clan sind, das sind in dem ZDF-Vierteiler „Füxe“ die gar nicht immer so schneidigen, dafür umso sauffreudigeren Burschenschaftler und ihre rückwärtsorientierten Rituale. In dieser streng hierarchischen Welt aus Pflicht, Respekt und Gehorsam muss sich die Hauptfigur erst einmal zurechtfinden. Vorurteilsfrei geht der Kosovo-Deutsche an die Sache ran. Seine Herkunft, das Land seiner Eltern, ist von den Autoren David Clay Diaz und Joe Hofer (Buch) klug gewählt: Kameradschaft und Gemeinschaft sind Werte, die auch der Mutter (Hanife Sylejmani) und dem Vater (Kasem Hoxha) noch etwas bedeuteten. In Deutschland bleibt den Kameris vor allem eines: die Familie. Und so scheint sich Adem alias Adam in der ersten Folge mit dem passenden Titel „Wir sind eine Familie“ auch recht wohl zu fühlen im Schoße der Burschen und Füxe. Unwohl fühlt er sich allenfalls wegen seiner Lüge, die womöglich gar nicht mal für die Aufnahme in der Gothia nötig gewesen wäre. Dieser pflichtbewusste junge Mann, der sich deutscher als jeder Deutsche gibt, scheint bei allem Ellenbogeneinsatz ohne emotionale Nähe nur schwer auszukommen. Er sei eben ein sensibler Junge, sagt die Mutter einmal. Entsprechend liebevoll ist sein Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester (Juliana Koczulla), und ohne die Herzensnähe zu seiner Mina geht nur wenig.

FüxeFoto: ZDF / Tatiana Vdovenko
Während einer Veranstaltung des Corps singen Paul (Ferdinand Lehmann, M.), Vincent (Vito Sack, l.) und Jens (Clemens Bobke, r.) vor den „Alten Herrn“ ein Studenten-Lied zur Eröffnung des Abends.

Obwohl es der Titel nahelegt, stehen in „Füxe“ (ZDF) nicht die Studentenverbindungen und ihre national-konservative Gesinnung im Fokus. Natürlich schwingt in den Szenen Vieles mit, was von reaktionärem Gedankengut zeugt. Je höher der Alkoholpegel, umso eher verfallen die halbstarken Hardliner auf ein menschenverachtendes Vokabular einer rechten Gesinnung. Aber es gibt auch andere Momente und andere Burschen in Adems neuem Luxus-Domizil, die schwerer einzuschätzen sind. Wenn es um die eigenen (Minderwertigkeits-)Gefühle geht, dann können die meisten auch anders. Der Alkohol löst die Zunge. Die vermeintlich zum Führen Geborenen sind plötzlich armselige Würstchen, von Selbstmitleid beseelt. Großartig eine Szene am Ende der zweiten Episode „Dem Tüchtigen hilft das Glück“: einer beichtet, ein anderer beichtet im Zuge einer tränen- und bierseligen Nacht zurück – und plötzlich kippt die Situation, zeigt sich die hässliche Fratze des Denunziantentums. „Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf“ heißen denn auch die dritten 45 Minuten, in denen sich zeigt, dass es gar nicht so weit her ist mit den gepriesenen Werten und Ehrbegriffen bei der Gothia. Jeder ist sich selbst der Nächste. Und jeder hat gute Gründe dafür: Mal ist es die Herkunft, die einen der jungen Charaktere behindert, mal die unhinterfragte Tradition, mal der Druck der eigenen Familie. Muss man aber deshalb den Druck weitergeben?

FüxeFoto: ZDF / Tatiana Vdovenko
Adem (Valon Krasniqi) macht alles nur, um dorthin zu kommen: in die obere Etagen des Business. Nur zu welchem Preis? Der junge Mann wird zum Lügner, Manipulator und Verräter. Die Zuschauer:innen dürften es ihm aber gar nicht mal so übel nehmen.

„Irgendwann muss man sich entscheiden, was für ein Mensch man sein will“, sagt der „alte Herr“, bei dem Adem auch unter richtigem Namen Karriere machen kann. Und eine weitere Lebensweisheit, bezogen auf die Moral des Einzelnen, klingt einem im Ohr: „Man hat immer die Wahl.“ Das sagt nicht nur Adems sozial engagierte Freundin, nein, auch eben jener Geschäftsmann, der täglich mit Millionenbeträgen jongliert. Die Macher tun gut daran, diesen Appell zu mehr Haltung, im Übrigen eine markante narrative Prämisse, die auch fürs echte Leben gilt, nicht auf die Dramaturgie zu übertragen. Und so ist „Füxe“ erfreulicherweise weder ein pädagogisch motiviertes Themen-Vehikel noch ein naives Sozialmärchen. Auch vermeiden Hofer und Diaz allzu krasse Gegenpole und eine überdeutliche Schwarzweiß-Zeichnung. Zwar ist Adem auf den ersten Blick die perfekte Identifikationsfigur, hilfsbereit, einfühlsam, kein Lautsprecher, ein guter Sohn, zurückhaltend, aber nicht schüchtern und mit einem gesunden Selbstvertrauen gesegnet, doch auf den zweiten Blick könnte man sein Alter Ego Adam auch anders interpretieren. Anfangs ist Mina sehr angetan von beiden, Adem wie Adam, dem netten Kosovoer Junge und dem zielstrebigen deutschen BWL-Studenten. Aber ein Lügner, Manipulator und Verräter, der den Versuchungen einer Blitzkarriere und des gesellschaftlichen Aufstiegs nicht widersteht, das ist er eben auch. Beim Zuschauen mag das untergehen, weil sein egoistisches Verhalten vor allem die Burschenschaftler trifft und weil Valon Krasniqi diesen ambivalenten Charakter so sympathisch und liebenswert verkörpert.

„Füxe“ ist eine ungewöhnliche Serie. Keine sogenannte „Instant Drama“-Produktion zum schnellen Verbrauch. Mit drei Stunden hat sie die richtige Länge, und die Aufteilung in vier Folgen entspricht dem Erzählten. Auch die weiteren Hauptrollen sind mit Ferdinand Lehmann („Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution“), Vito Sack („Tatort – Die Kalten und die Toten“) und Roxana Samadi („Para – Wir sind King“) glänzend besetzt. Die Inszenierung von David Clay Diaz („Me, We“) und Susan Gordanshekan („Die defekte Katze“) ist angenehm zurückhaltend, sachlich und wird mitgetragen von der Raum-Qualität der Burschenschafts-Villa, deren Tradition schwer auf den schmalen Schultern der halbwüchsigen Elite-Jungs zu lasten scheint. Sogar der selbstbewusste, in sich ruhende Held wirkt bisweilen etwas verloren, ja fehl am Platze in diesem hochehrwürdigen Gemäuer, das man mal so richtig durchlüften müsste. Umso heller, lockerer und luftiger die Stimmung in den Outdoor-Szenen: So wurde die erste ernsthafte Annäherung zwischen Adem und Mina in einer einzigen Einstellung gedreht. Kurzweilige, launige dreieinhalb Minuten lang folgt man dem Pärchen: Dialoge, Körpersprache, alles in Echtzeit, realistischer geht’s nicht. Möglicherweise hatte ja Kameramann Dino Osmanovic die schönste Straßenschlender-Plansequenz der Filmgeschichte (Seberg & Belmondo in „Außer Atem“) dabei vor Augen – wenngleich die Marburger Fußgängerzone natürlich nicht die Champs-Elysées ist. (Text-Stand: 3.9.2023)

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ZDF

Mit Valon Krasniqi, Ferdinand Lehmann, Vito Sack, Roxana Samadi, Richard van Weyden, Clemens Bobke, Kasimir Pretzschner, Michael Schweisser, Hanife Sylejmani, Kasem Hoxha, Juliana Koczulla, Rainer Ewerrien, Maria Wördemann

Kamera: Dino Osmanovic

Szenenbild: Holger Sebastian Müller

Kostüm: Stephanie Fürst

Schnitt: Michael Timmers

Musik: Sebastian Fillenberg

Redaktion: Christian Cloos, Jakob Zimmermann

Produktionsfirma: U5 Filmproduktion

Produktion: Katrin Haase, Oliver Arnold

Drehbuch: Joe Hofer, David Clay Diaz

Regie: David Clay Diaz, Susan Gordanshekan

EA: 12.10.2023 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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