Von ihrem Scheidungstermin stolpert Billy Kuckuck (Aglaia Szyszkowitz) sofort in ihren nächsten Fall: Für einen Landwirt (Werner Wölbern) soll sie einen Privatkredit eintreiben. Schuldnerin ist eine junge Witwe, die gar nichts weiß von diesem Kredit. Nach dem Unfalltod ihres Mannes wachsen Tanja Pohlmann (Franziska Wulf) ihre finanziellen Verpflichtungen so schon über den Kopf – und jetzt auch noch diese 8000 Euro. Obwohl ihr Mann auf der Heimfahrt von der Arbeit verunglückt ist, will die Versicherung nicht zahlen. Hinzu kommt, dass sie auch psychisch am Ende ihrer Kräfte ist. Ohne ihren 17-jährigen Sohn Niklas (Claude Albert Heinrich), der trotz seines anstehenden Abiturs mehr und mehr das Familienmanagement übernimmt, wäre der verschuldete Hof längst Geschichte; selbst die neunjährige Sophie (Amadea Schwolow) springt im Hofladen ein, wenn die Mutter mal wieder nicht aus dem Bett kommt. Mit dieser vom Schicksal gebeutelten Familie muss die Gerichtsvollzieherin einfach Mitleid haben. Trotzdem kann sie nicht umhin, das Jugendamt einzuschalten und sich – wenngleich halbherzig – nach Pfändbaren bei den Pohlmanns umschauen. Doch sie wäre nicht Billy Kuckuck hätte sie nicht clevere Hilfsangebote parat. Dass diese umtriebige Frau dabei mehr Zeit mit ihrem Ex Gunnar (Gregor Bloéb) und gezwungenermaßen ihrer Mutter Christel (Ursela Monn) verbringt, das irritiert ihren neuen Lover Elias (Ben Braun) schon ein bisschen.
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Aus „Billy Kuckuck“ wird „Eine mit Herz“: Auch wenn sich der Titel geändert hat, so bleibt auch im sechsten Film der ARD-Freitagsreihe alles beim Alten. Die Tradition bedeutet hier allerdings nur Gutes. Da ist ein Fall am Rande zum Sozialdrama, bei dem man sich nicht nur wegen des ländlichen Ambientes fast schon in der ZDF-Konkurrenz-Produktion „Frühling“ wähnt, der aber immer wieder gebrochen wird durch anrührende „Aufheller“-Momente. Kinder und ihre Sorgen sind ja immer ein dankbares Sujet; ganz besonders, wenn sie ihre Sache so unaufdringlich gut machen wie Claude Albert Heinrich („Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“) und Amadea Schwolow. Und da steht außerdem eine Helfer-Natur im Zentrum, die ihr Mutter-Teresa-Syndrom selbstbewusst mit einem Lächeln zu kommentieren weiß. Dass dieses Lächeln Aglaia Szyszkowitz gehört, ist der augenfälligste Pluspunkt auch in der neuen Episode „Familiengeheimnisse“. Wie die im seriellen Unterhaltungsfernsehen bewährte Kombi aus Familien- und Berufsalltag sich harmonisch verbindet mit einer lebensbejahenden und unaufdringlichen moralischen Haltung – das befriedigt weniger intellektuelle Ansprüche, sorgt aber immer wieder für wohlige Feelgood-Momente. Wenn die Gerechtigkeit siegt, wenn der hinterfotzige Wirt, der dem kellnernden Niklas sein Trinkgeld nicht ausbezahlen will, oder wenn der bauernschlaue Landwirt, der erfreulicherweise von Anfang an nicht zum Kotzbrocken gemacht wird, von der Hauptfigur in ihre Schranken verwiesen werden, dann tut das einfach gut.
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„Eine mit Herz“ funktioniert also immer wieder durch dieses Heldinnen-Prinzip, das aufs Helfen und auf mehr Gerechtigkeit abzielt. Eine Frau, die die Welt besser macht und denen, die ihren moralischen Kompass verloren haben, charmant eine seelisch gesündere und sozial verträglichere Art zu leben aufzeigt. Das Ganze könnte auch gehörig schiefgehen, könnte moralinsauer aufstoßen, doch ähnlich wie in Anwaltsserien à la „Danni Lowinski“ oder „Die Kanzlei“ ist es die Genre-Mischung, die den Unterschied macht. Bei Billy Kuckuck und ihrer Entourage sind es – ähnlich wie einst in „Ella Schön“ (Autor Simon X. Rost hat reichlich Erfahrung mit dieser Reihe) – die komödiantischen Momente, die den Unterschied machen. Sie nehmen dem „Sozialfall“ die Schwere und machen gleichzeitig deutlich, dass man sich in einem Stück Unterhaltungsfernsehen befindet, bei dem jeder Teil der Geschichte, auch der „ernsthafte“, nur Mittel zum Zweck ist, den Zuschauer zu unterhalten. Auch wenn die Reihe nun „Eine mit Herz“ heißt, was die gefühlvolle Seite der Hauptfigur betont im Gegensatz zu „Billy Kuckuck“, ein Titel, der allzu deutlich auf den Gag schielte, so bleibt doch das Markenzeichen dieser Reihe der Mix unterschiedlichster Tonlagen und Befindlichkeiten: Der Ernst des Berufslebens stößt auf familiäres Alltagschaos, Drama auf Komödie, ja, in „Familiengeheimnisse“ wechseln sogar Trauer & Freude, Lächeln & Weinen, Aktion & Ohnmacht im Minutentakt. Letzteres, ein „psychosomatisches Stresssyndrom“, bleibt dem Ex vorbehalten, der nach der Scheidung sofort wieder das Ja-Wort geben muss – seiner von ihm geschwängerten Fußpflegerin; obwohl er es vielleicht doch lieber noch mal mit Billy versuchen würde.
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In „Familiengeheimnisse“, angenehm flott und luftig inszeniert, geht es nicht um Parentifizierung, es geht nicht um Depressionen oder Traumatisierung, es geht auch nicht um die Schuldenfalle, in die man nur allzu leicht hineinrutschen kann. Miterzählt wird das alles freilich schon, aber eben nicht ausgestellt als Thema. Wenn der Film von Thomas Freundner und die ganze Reihe ein Thema haben, dann ist es – wie in jeder guten Familienserie – der Alltag und seine Bewältigung. Was die Konflikte angeht, die diesen Alltag und das Happy End erschweren, wäre mitunter etwas weniger mehr; obgleich die Art, wie diese Konflikte aus dem Weg geräumt werden, Spaß macht. Das Wie, wie dieser Alltag erzählt wird, das ist das Besondere der Reihe um diese etwas andere Gerichtsvollzieherin. Es sind immer wieder die amüsanten Situationen, die Sidekicks, die dem Ganzen seine unverwechselbare Form geben. Da ist neben dem wankelmütigen Ex (Bloèb, mal wieder klasse!) Nachbar Holger (Rüdiger Klink), der vorübergehend in einem Wohnwagen vor Billys Haus campiert, urplötzlich nackt in ihrem Bad steht und noch nie so wenig genervt hat wie diesmal. Gleiches gilt für die gute, leicht tüddelige Mama, die sogar mit Wortwitz punkten darf. Es hilft vor allem, wenn solche Intermezzi kurz & pointiert sind und im Falle von Billys Mutter nicht mit Problemen den Plot überlasten, sondern nur komisch vom dramatischen A-Plot entlasten. Fazit: Nach über zwei Jahren Kuckucks-loser Zeit ist man schnell wieder drin in Billys Mikrokosmos – und war es bisher praktisch, einen Polizisten in der Familie zu haben, ist ein Anwalt im Bett für künftige „Fälle“ – auch dramaturgisch gesehen – ein weiteres As im Ärmel.