Heimkehrerin Véronique (Friederike Linke) und Dr. Hugo Simon (Nico Rogner), den ihr verstorbener Vater zu seinem Nachfolger gemacht hatte, führen mittlerweile gemeinsam die Landarztpraxis in Talon. Er ist der klassische Mediziner, sie übernimmt auch schon mal die Betreuung der einsamen Herzen im Ort. Als ein lebensmüder Teenager (Valerie Stoll) auf einer Brücke sitzt und Fachkräfte auf sich warten lassen, ist Véro sofort zur Stelle. Auch sie saß einmal auf dieser Brücke, wollte springen. Ab ihrem sechsten Lebensjahr hat der Vater ihr das Leben zur Hölle gemacht. Was die junge Frau bis heute nicht weiß: Sie ist Resultat eines Seitensprungs mit dem Mann, der für ihre Mutter Thérèse (Sabine Vitua) noch heute ihr engster Vertrauter ist, Onkel Franck (Peter Benedict), mit dem sich auch Véro seit jeher sehr gut versteht. Auch er weiß nichts von seiner Vaterschaft. Thérèse ist klar, dass sie reinen Tisch machen muss. Aber sie findet dafür nie den richtigen Zeitpunkt. Und sie hat noch ein Problem: Ihr widerstrebt es, die verschuldete Landvilla mit Hilfe der unehelichen Tochter (Helen Woigk) ihres untreuen Gatten zu retten. Wenigstens hat sie sich versöhnt mit ihrer Schwester Catherine (Gesine Cukrowski), die nach ihrer überwundenen Krebserkrankung anders leben möchte als ihr genügsamer Ehemann und Bistrobesitzer Thierry (Andreas Hoppe).
Der „Tisch in der Provence“ ist in den beiden neuen Episoden nicht ganz so häufig für die ganze Familie gedeckt wie in den Auftaktfilmen. Der Alltag hat Einzug gehalten, zum Feiern, Essen & Trinken bleibt da wenig Zeit. Die Heldin ist angekommen in ihrer Heimat, hat sich zusammengerauft mit ihrem Kollegen, und sie hat mit ihrer Mutter Frieden geschlossen, nachdem diese jahrzehntelang das komfortable Leben mit dem Haustyrannen einer Trennung vorzog und dabei zu wenig das Wohl der Tochter im Blick hatte. Die Familienkonstellation ist nach wie vor komplex, sodass die Geschichte stets offen bleibt für weitere kleine und größere Dramen. Das narrative Potenzial wird angedeutet, aber erfreulicherweise weder in „Zwei Ärzte im Aufbruch“ noch in „Unverhoffte Töchter“ ausgeschöpft. Dadurch hat man nie den Eindruck, hier werde geplottet auf Seifenoper komm raus; vielmehr versuchen die Autoren Barbara te Kock und Valentin Holch (er ist gleichzeitig der Produzent), die Konflikte alltagsnah zu gestalten und die Geschichte(n) nie überdramatisch werden zu lassen. Und so dauert es, bis die zaudernde Thérèse sich ein Herz fasst und ihrem „Herzensmenschen“ reinen Wein einschenkt. Véro muss auf die Wahrheit noch etwas länger warten. Verständlicherweise zeigt sie fortan ihrer Mutter die kalte Schulter; sie muss den Schock erst verarbeiten. Während Franck, der Vater über Nacht, seiner großen Liebe schneller verzeiht, weil er vor allem den emotionalen „Zugewinn“ erkennt, sieht Véro, die lange Zeit unter Depressionen und Versagensängsten litt, dass die Mutter ihr 35 Jahre die Vater-Tochter-Beziehung gestohlen hat. Psychologisch sind beide Haltungen stimmig, und Friederike Linke wie Peter Benedict spielen diese schwierigen Momente des sich neu Begegnens konzentriert und glaubwürdig.
Soundtrack
(1): Etienne Daho („Promesses“), Gillian Hills („Tut Tut Tut Tut“), Chubby Checker („Let’s Twist Again“)
(2): Stereo Total (Partir ou mourir“), Alma Forrer („Comme avant“), ZAZ („Demain c’est toi“ / „Je veux“), Vanessa Paradis („Il y a“), Eartha Kitt („C’est si bon“), Bon Entendeur & Isabelle Pierre („Le temps est bon“)
Foto: ZDF / Clément Puig
Den Lavendelfeldern, den Olivenhainen oder den Szenen am Meer zum Trotz wird die Provence in den neuen Filmen (Regie: Frauke Thielecken) gefühlt etwas weniger hergezeigt, auch spürt man in den Bildern und Montagen weniger den sinnlichen Atem von Natur, Landschaft und Wetter. Das mag schade sein, entspricht aber der Geschichte. Während der Zuschauer zum Auftakt der Reihe quasi miterleben durfte, wie die mit ihrer Vergangenheit hadernde Heldin langsam die (Schönheit ihrer) Heimat wiederentdeckt, ist nun ein Stück weit Normalität eingekehrt, und die Heimkehrerin hat sich gewöhnt an den Zauber der Provence. Die Landschaftsbilder unterscheiden sich im Übrigen nach wie vor von der Hochglanzoptik, wie man sie aus der Tourismuswerbung kennt, und auch die „Herzkino“-liken Drohnenflüge halten sich in Grenzen. In Südfrankreich herrscht hingegen stilvolle „Landlust“-Ästhetik vor, in der sich immer auch die Freude an schönen Dingen, das französische savoir vivre spiegelt – und somit immer auch etwas über die Charaktere, die diese Dinge lieben, ausgesagt wird.
Apropos Charaktere: Sie sind das Herzstück dieser Reihe. Die durchgehenden Rollen sind auf ein gutes Dutzend angewachsen. Was in anderen Reihen häufig stört, weil einige Figuren notgedrungen schon mal nur Staffage sind, wirkt in „Ein Tisch in der Provence“ das Personal überraschend harmonisch. Jede noch so kleine Figur hat entweder eine klare narrative Funktion oder sie bekommt ihr (wenn mitunter auch nur angedeutetes) Thema, eine Emotion, einen vielsagenden Satz oder eine wunderbare Szene wie Paulette (Lilly Forgách), die gute Seele der Praxis, die bei einem Gesangswettbewerb einen emotional vielschichtigen Auftritt hinlegt. Elegant auch, wie eine weitere Powerfrau, die hochschwangere Melanie Leroc (Leonie Parusel), in der ersten Episode eingeführt wird und den Herrn Doktor sichtlich in Verlegenheit bringt, um schließlich in „Unverhoffte Töchter“ zu einer Hauptfigur zu werden.
Foto: ZDF / Clément Puig
Durch diese sympathische Bäckersfrau gerät Dr. Simon bald in einen Riesenschlamassel: Durch ein unbedachtes Versprechen könnte er wie Jungfrau Maria zum Kinde kommen. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Weshalb die große Verlegenheit, die Befangenheit des Arztes gegenüber dieser Frau? Aufklärung gibt es am Ende der zweiten neuen Episode. In einer zunächst sehr amüsanten Szene, in der Véronique dem Tremor-Phänomen ihres Kollegen auf die Spur kommen möchte, wechselt urplötzlich die Tonlage: Eine tragische Lebensbeichte folgt der höchst locker-launigen Teambildungsmaßnahme der beiden Ärzte. Überhaupt zeigt die Reihe, was sich so alles erzählen lässt mit überzeugenden Charakteren, lebensklugen Situationen und alltagsnaher Sprache – auch im Unterhaltungsfach. Und das ohne Ironie und Gewitzel und ohne überpointierte oder bedeutungsschwere Dialoge. Allein der Charakter bestimmt die Tonlage. Besonders gelungen in den neuen Filme dieser „Herzkino“-Reihe ist die Art und Weise, wie gekonnt die episodischen Krankheitsfälle, die als zwei unter zahlreichen anderen Sub-Plots unaufgeregt in der Narration mitschwingen, mit den biografischen Erfahrungen der beiden Hauptfiguren kurzgeschlossen werden. Das öffnet Tür und Tor für schmerzhafte Projektionen, subjektive Ausraster und insgesamt für eine dichte Dramaturgie. So gelingt „Ein Tisch in der Provence“ – ähnlich wie den ZDF-Sonntagsreihen „Ella Schön“ und „Letzte Ausfahrt Glück“ – Unterhaltung auf ungewohnt hohem Niveau: geschmackvolle Miniaturen über die Suche nach einem zufriedeneren Leben. (Text-Stand: 22.3.2021)