Sandra (Henriette Richter-Röhl) ist Önologin, sie weiß alles über Weine, die Suche nach den besten bestimmt ihr Leben. Für ihren Chef, den weltmännischen Weinhändler Reinhold Kerner (Sky du Mont), soll sie den edelsten Tropfen Siziliens finden. Ausgerechnet dort, wo vor 3000 Jahren die Wiege des Weinanbaus stand, geben die Reben heute nicht viel her. Selbst der Il Grande Piccolo vom renommiertesten Weinbauer Siziliens mundet Sandra nicht so richtig – und die Anbaggerversuche jenes Vincenzo (Giorgio Lupano), der nicht nur seinen Wein für unwiderstehlich hält, werden das kaum ändern. Also sucht sie weiter. Ausgerechnet an dem Abend, an dem sie sich aus den Fängen des vermeintlichen Latin Lover befreit, wird sie fündig. „In Vino“ verheißt bescheiden das Etikett des Weins, mit dem sie eigentlich nur ihren Frust herunterspülen wollte. Sie sitzt am Meer, Glücksgefühle überkommen sie, da entdeckt sie einen leblosen Mann (Daniel Hoevels). Ihre Wiederbelebungsversuche sind erfolgreich. Der Mann ist Deutscher und muss von seinem Boot gefallen sein. An sehr viel mehr kann er sich nicht erinnern. Sandra nennt ihn „Robinson“. Die Polizei ermittelt gegen ihn. Vielleicht ist er ja ein Schlepper, der Flüchtlinge nach Sizilien bringt? Jetzt ist der Mann ohne Gedächtnis erst einmal selbst auf der Flucht. In einer Fischerhütte am Strand richtet er sich ein, Sandra hilft ihm und beide finden sichtlich Gefallen aneinander. Nur diesen perfekten Wein hat sie durch ihren Schiffbrüchigen verloren. Aber noch ist nicht aller sizilianischer Tage Abend.
Die Geschichte, die „Ein Sommer auf Sizilien“ erzählt, macht dem ZDF-Label „Herzkino“ alle Ehre. Es ist wie in einem Märchen: Eine junge Frau findet einen Mann am Strand, rettet ihm das Leben und verliebt sich in den Unbekannten. Dass sie eine unglückliche Liebe mit einem verheirateten Mann hinter sich hat, ist kein Zufall. Auch bei dem Fremden stellt sich bald selbstredend die Frage: Ist er überhaupt noch frei? Ein verwunschener Prinz – so viel sei verraten – ist er jedenfalls nicht. Wie ein guter Rotwein braucht auch diese Geschichte Zeit zum Atmen, und Autor-Regisseur Michael Keusch gibt sie ihr. Keine überflüssigen Nebenhandlungen, alles, was in diesem entspannten südländischen Bilderbogen zur Sprache kommt, hat mit der Heldin und ihrer doppelten Suche zu tun. Da ist der kultivierte Kerner, ein Mann des Wahren und Schönen, den eine alte Liebe zurück nach Sizilien zieht; da ist der charmante Vino-Macho Vincenzo, der mit den typisch sizilianischen Methoden arbeitet und der Konkurrenz im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgräbt; da ist der komödiantisch angelegte Poliziotto, der zwar das Liebesobjekt der Heldin in ein Auffanglanger überführen soll, ihr selbst aber wohl gesonnen ist und der am Ende gar als Glücksbote operiert und da ist Ludovico, der die Heldin früh auf den richtigen Weg bringt und mit seinem Nachnamen Veritas mit zum weinseligen Happy End beiträgt. Außerdem gibt es noch Sandras Bruder Jens, damit man noch etwas aus dem Seelenleben der Heldin erfahren kann, und seine schwangere Frau; beide lassen es sich vor ihrem ersten stressigen Jahr als Eltern auf Sizilien noch einmal gut gehen. In dieser Geschichte hat alles und jeder seinen Platz. Das ist beruhigend. Das ist angenehm undramatisch. Das fließt im Lebensrhythmus von Landschaft, Licht und Meer.
Versteht man „Ein Sommer auf Sizilien“ als ein amouröses Märchen, dann kann man die Vorbehalte, die man gegenüber Unterhaltungsfilmen dieser Art zu recht haben kann, schnell vergessen. Vorausgesetzt, man hat vor lauter „Kitschallergie“ das Hinsehen nicht verlernt. Der Deutsch-Kanadier Keusch, der einst mit Filmen wie „Der Parkhausmörder“ (1995), „Sünde einer Nacht“ (1996) mit Claudia Michelsen (!) oder „Die Babysitterin – Schreie aus dem Kinderzimmer“ (1997) für RTL dessen postmodernen TV-Movie-Look mit erfand, entdeckt nun in seinen reiferen Jahren nach dem urigen „Ein Sommer im Elsass“ (2012) & dem erotischen „Ein Sommer in Portugal“ (2013) den mediterranen Zauber Süditaliens. Sein ungarischer Kameramann János Vecsernyés („Mamarosh“) schämt sich nicht dessen, was er in den Ländern vorfindet, verzichtet nicht auf die telegenen Bilder von Naturereignissen, auf jene visuellen Reize, die jeder Zuschauer mit dem Mittelmeer verbindet – aber er stellt sie nicht nur aus, sondern lässt seine Geschichte aus ihnen entstehen. Die Bilder passen sich ein in das Spiel von Fernweh und von Sehnsüchten, die nicht nur den Zuschauer, sondern auch die Protagonisten umtreiben. Die „Ein Sommer in…“-Filme im ZDF betten das Naturschöne, harmonisch in die Geschichten ein. Dadurch, dass die Helden im Gegensatz beispielsweise zu Filmen aus dem Pilcherschen Cornwall oder der „Inga-Lindström“-Puppenstube Schweden nicht zuhause sind in dem Land(strich), entsteht ein anderer Blick auf Natur und Landschaft.
Ob einem das, was Keusch und sein Kameramann uns als Sizilien „verkaufen“, das Herz öffnet, also echtes „Herzkino“ ist, oder einem das Ganze zu edel, zu gestylt ist, zu sehr an einen Sizilien-Werbeprospekt erinnert – das bleibt letztlich Geschmackssache. Außer Frage aber steht, dass dieser Film dramaturgisch, optisch und wirkungsästhetisch gut gemacht ist. Henriette Richter-Röhl ist seit Jahren sehr viel mehr als nur ein Hingucker; sie macht sich bestens in der Sonne des Südens, egal ob mit oder ohne cooler Sonnenbrille. Daniel Hoevels ist ein unbeschriebenes Blatt, was nicht schlecht zur Rolle des „Robinson“ und zu diesem Mann passt, der seine Identität lange Zeit nicht kennt. Sky du Mont darf sein Rollenklischee bedienen – und das macht er professionell gut. Die Italiener sind als Typen überzeugend gecastet, auch Mirko Lang als knuffiger Bruder der Heldin und Julia Nachtmann als dominantes „Muttertier“ funktionieren gut als deutscher Gegenpart. Dass sich der Autor die Geburt ihres Babys nicht nehmen lässt, wen wundert’s, schließlich sind wir im „Herzkino“, wo im Idealfall – wie in Keuschs romantischer Sonntagsmärchenstunde „Ein Sommer auf Sizilien“ – Träume wahr und Sehnsüchte Bilder werden. (Text-Stand: 23.4.2016)