Ein Leben lang

Corinna Kirchhoff, Henry Hübchen, Salisbury, Endemann. Am Ende eines langen Weges

Foto: WDR / Flare Film / Oliver Feist
Foto Thomas Gehringer

Herausragendes Schauspiel und die bittersüße Bilanz einer großen Liebe: Corinna Kirchhoff & Henry Hübchen glänzen in „Ein Leben lang“ (WDR / Flare Film) als lange Zeit verheiratetes, eigentlich getrenntes, nun aber in der Not wieder vereintes Paar. Absolut preiswürdig ist Kirchhoffs vielschichtige Darstellung der verlassenen Ehefrau, die sich um ihren an Demenz erkrankten Mann kümmert. Auch Hübchen spielt den ehemaligen Schlager-Star, der langsam die Kontrolle über Sinne und Körper verliert, herzerweichend. Weil das Geld für den teuren Platz im Pflegeheim nicht reicht, muss das Paar ihr einstiges Paradies, das gemeinsame Haus am See, verkaufen. Als Helfer beim Entrümpeln stößt ein Dritter dazu, der alleinstehende Sorin und bricht mit der aufrichtigen Neugier eines Außenstehenden manche Verkrustung auf. Ein melancholischer, tiefgründiger Film über die Liebe & den Wert des Zusammenseins.

Es ist die Rückkehr in ihr ehemaliges „Paradies“: Elsa (Corinna Kirchhoff) und Arthur (Henry Hübchen) lassen wieder Luft und Licht hinein in das idyllisch am See gelegene Häuschen, in dem sie die wohl schönsten Tage ihres gemeinsamen Lebens verbracht haben. Behutsam nehmen sie an einem trüben Herbsttag das verstaubte Anwesen wieder in Augenschein, laufen hinunter ans Wasser, wo der Steg morsch geworden und mit Laub bedeckt ist. Die Fotos an der Wand rufen Erinnerungen wach. Arthur weiß auch noch, wo der Schlüssel zum Anbau hängt. Dort hatte der ehemalige Schlagersänger an seinen Liedern gearbeitet. Nun setzt er sich wieder ans Klavier, aber die Melodie zu seinem größten Hit „Ein Leben lang“ will ihm nicht mehr einfallen. Arthur ist an Demenz erkrankt, und Elsa, obwohl von ihm vor vier Jahren für eine Jüngere verlassen, kümmert sich wieder um ihren nun ebenfalls verlassenen Ehemann. Das Haus am See müssen sie verkaufen, denn sonst werden sie den teuren Platz für Arthur in einem Pflegeheim nicht bezahlen können.

Ein Leben langFoto: WDR / Flare Film / Oliver Feist
Preiswürdig, wie Corinna Kirchhoff als Ehefrau Elsa die Bitterkeit und zugleich die Zärtlichkeit einer enttäuschten und doch fürsorglichen Partnerin zum Leben erweckt.

„Ein Leben lang“ ist vor allem anderen ein Film, in dem zwei prägende deutsche Schauspiel-Persönlichkeiten eine glänzende, berührende Partie bieten. Herausragend, wie Corinna Kirchhoff die Bitterkeit und zugleich die Zärtlichkeit einer enttäuschten und doch fürsorglichen Partnerin zum Leben erweckt. Was für eine Ausdruckskraft in diesem vom Leben gezeichneten Gesicht, in dem sich Erschöpfung, tiefer Schmerz, die vergangene und die verbliebene Liebe, aber auch Willensstärke und Härte spiegeln. Großartig auch Henry Hübchen als knurrig-verschlossener Gegenpart, der die Tragik der verlorenen Erinnerung spüren und gleichzeitig immer mal wieder den Charme des früheren Arthur aufblitzen lässt. Schmerzhaft zu sehen, wenn Arthur auf der Suche nach der Toilette mit durchnässter Hose durchs Haus irrt. Wenn er hilflos mit blutender Hand am Küchentisch sitzt, weil er sich beim Brotschneiden verletzte. Aber die Krankheit wird nicht mehr als nötig „ausgestellt“, und Arthur beweist auch ungeahnte Fähigkeiten – insbesondere als ein Dritter ins Spiel kommt.

Ein Leben langFoto: WDR / Flare Film / Nadja Klier
Noch einmal ein bisschen was vom Glanz vergangener Tage spüren: Arthur (Henry Hübchen), der ehemalige Schlagerstar, auf der Bühne mit DJ Sorin (Eugen Knecht)

Im Unterschied zu dem ähnlich angelegten Fernsehfilm „Bist Du glücklich?“ verzichten Drehbuch-Autor Paul Salisbury und Regisseur Till Endemann nicht nur auf jede Art von Rückblick. Mit Sorin (Eugen Knecht), einem kettenrauchenden Einzelgänger, wird aus dem Paar-Beziehungsdrama auch eine Dreiecksgeschichte mit eigenen Reizen. Weil der Schwiegersohn wegen eines Unfalls ausfällt, stellt Elsa Sorin als Helfer zum Entrümpeln des Hauses an – und das, obwohl sie zuvor gesehen hatte, wie Sorin ihre Obstbäume plündert. Der getrennt von Frau und Tochter lebende Mittvierziger ist in dem kleinen Ort Schönow im Berliner Umland ein Außenseiter: Als Mann mit osteuropäischer Herkunft wird er von den Einheimischen „Siggi“ gerufen, als Kurzform für „Zigeuner“, wie der gekränkte Sorin erklärt. Er hat es vergeblich mit einer Musikkarriere in Berlin versucht, jobbt nun als DJ, trinkt viel, hängt auf seinem Hausboot ab. Der ruppig wirkende Typ, dessen Träume gerade in der Mitte seines Lebens zu platzen scheinen, trifft nun auf ein Paar am Ende eines langen Weges. Respekt für Eugen Knecht, der im Vergleich mit den beiden Schauspiel-Schwergewichten Kirchhoff und Hübchen keineswegs abfällt.

Sorin bringt nicht nur handwerkliches Geschick, sondern auch Neugier und Aufgeschlossenheit mit. Über die Musik finden er und Arthur schnell Kontakt zueinander, und nach schwierigem Start entwickelt sich auch zwischen Sorin und Elsa eine besondere Nähe, die so glaubwürdig erzählt und gespielt wird, dass auch das gemeinsame Bad im abendlichen See kein bisschen absonderlich wirkt. Sorins Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrem kranken Mann scheint es Elsa zu ermöglichen, den untreuen Arthur mit einem versöhnlichen, tröstlicheren Blick zu betrachten. Und Sorin kann wiederum von der Lebenserfahrung der Älteren profitieren – zumindest wird er, ermuntert von Elsa, einen ersten Schritt tun. So spielen Salisbury und Endemann in ruhigem Tempo ein konzentriertes und hochemotionales Beziehungsspiel über drei Banden, zu dem die herbstlich-melancholische Landschaft Brandenburgs beinahe zu perfekt passt. Das Finale ist in Teilen vorhersehbar, aber von einem kitschigen Happy End weit entfernt. Dem kleinen und feinen Ensemble ist unter Till Endemanns präziser Regie ein ungemein reifer, tiefgründiger und berührender Film über die Liebe und den Wert des Zusammenseins gelungen. (Text-Stand: 29.12.2021)

Ein Leben langFoto: WDR / Flare Film / Nadja Klier
Kameramann Philipp Sichler setzt auf eine klare, die emotionalen Zwischentöne mit erzählende, aber nie zu symbolhaft oder gar kitschig aufgeladene Bildsprache.

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Fernsehfilm

WDR

Mit Corinna Kirchhoff, Henry Hübchen, Eugen Knecht

Kamera: Philipp Sichler

Szenenbild: Cosima Vellenzer

Kostüm: Lore Tesch

Schnitt: Jens Müller

Musik: Raffael Seyfried

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Flare Film

Produktion: Gabriele Simon, Martin Heisler

Drehbuch: Paul Salisbury

Regie: Till Endemann

Quote: 3,32 Mio. Zuschauer (11,1% MA)

EA: 26.01.2022 20:15 Uhr | ARD

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