„Die Schlikkerfrauen“ von Uwe Janson erzählt die Geschichte eines monumentalen Scheiterns aus Sicht jener, die die große Pleite am Ende ausbaden müssen: Während der Gründer der Drogeriekette seine Schäfchen beizeiten ins Trockene bringt, stehen die Angestellten, die jahrelang ausgebeutet wurden, von einem Tag auf den anderen ohne Abfindung auf der Straße. Im Berliner Stadtteil Moabit aber proben vier Frauen den Aufstand und besetzen ihre Filiale. Als unversehens Firmenboss Schlikker reinschneit, weil ausgerechnet dieser Laden vor Jahrzehnten sein erstes Geschäft war, nehmen sie ihn kurzerhand als Geisel.
Zwei Wochen nach „Die Schlikkerfrauen“ zeigt das ZDF den Zweiteiler „Alles muss raus“, der die gleiche Geschichte erzählt und die Ereignisse ähnlich überspitzt darstellt, aber der als Drama konzipiert ist. Die Rollenverteilung ist dennoch identisch und hier wie dort gleichermaßen stereotyp: Der Firmenboss ist ein skrupelloser Ausbeuter, die Frauen in den Drogeriemärkten patente Angestellte, ohne deren Engagement das Imperium längst zusammengebrochen wäre. Im Unterschied zum ZDF-Film konzentriert sich „Die Schlikkerfrauen“ vor allem auf die tragikomische Dimension des Stoffes. Das funktioniert anfangs wunderbar, weil das Drehbuch von David Ungureit und Uwe Janson viel Kapital daraus schlägt, dass die vier Titelheldinnen so unterschiedlich sind. Die erste Hälfte ist zudem handlungsreich; es fällt daher nicht weiter ins Gewicht, dass die Frauen recht klischeehaft ausfallen. Mit der Geiselnahme kommt der Film zur Ruhe, doch was wie ein Anlauf zu einem ähnlich starken Finale aussieht, ist ein Spannungsabfall, von dem er sich nicht mehr erholt.
Soundtrack: Ram Jam („Black Betty“), Curtis Mayfield („Pusher Man“), George McCrae („Rock your Baby“), Dionne Warwick („Walk on by“), Isley Brothers („Work to do“), Donna Summer („She works hard for the Money“)
Foto: Sat 1
Nun rächt sich auch, dass die Hauptfiguren so wenig Tiefe haben. Sky Du Mont spielt Theo Schlikker als Karikatur eines Kapitalisten, was zunächst nicht weiter stört, weil der Mann bloß eine Nebenrolle ist. Als er zur Geisel und somit seines Status’ beraubt wird, könnte die Konfrontation mit den zornigen Furien zu großen Szenen führen, doch die Figur kommt aus dem Klischee nicht mehr heraus. Das tragische Potenzial der Rolle kann auf diese Weise überhaupt nicht genutzt werden, zumal Du Mont den armen Reichen ähnlich amüsiert verkörpert wie seine vergleichbare Hauptrolle in der RTL-Serie „Arme Millionäre“ (2005/06). Seine Filmpartnerinnen haben zwar einen größeren Spielraum, doch die jeweiligen Charakteristika wirken wie ein Etikett, das die Figuren interessanter machen soll: Die hübsche Chris (Sonja Gerhardt) träumt von einer Karriere als Sängerin, traut sich aber nicht, den Traum anzupacken; die gebürtige Iranerin Zari (Shadi Hedayati) soll von ihrer Familie verheiratet werden, liebt aber heimlich Chris; Angie (Annette Frier) hat zwei Kinder von zwei Männern, die beide auf und davon sind, und ist zu allem Überfluss auch noch Analphabetin.
Das Trio spielt seine Rollen im Großen und Ganzen überzeugend, doch die einzige Darstellerin, der man die Volksnähe ohne Einschränkung abnimmt, ist Katharina Thalbach als Filialleiterin. Greta, Ende 50, weiß genau, dass dieser Laden für sie die berufliche Endstation ist. Nur deshalb lässt sie sich auf den Vorschlag des Firmengründers ein, gemeinsam mit ihm einen neuen geschäftlichen Anfang zu wagen. Natürlich ist das bloß ein Trick von Schlikker, aber dann stellt er fest, dass seine Familie ihn längst abgeschrieben hat: Die Gattin (Catherine Flemming) treibt’s mit dem Insolvenzverwalter (Johann von Bülow) und macht keinerlei Anstalten, das geforderte Lösegeld zu zahlen, der Sohn (August Wittgenstein) hat den Alten längst abgeschrieben und will mit den Filialen ein eigenes Imperium errichten. Größeres Manko als die im Rahmen des Genres verzeihliche Klischeehaftigkeit sämtlicher Figuren ist eine dramaturgische Schwäche: Die Geschichte endet mit der Geiselnahme. Danach passiert zwar noch allerlei, aber im Grunde entwickelt sich die Handlung nicht mehr weiter.
Selbst wenn „Die Schlikkerfrauen“ also nicht die rundum gelungene Sozialkomödie wie „Der Minister“ die Sat-1-Parabel über Aufstieg und Fall Karl-Theoder zu Guttenberg (derselbe Regisseur, dieselbe Produktionsfirma) geworden ist, die der Film gern sein möchte: Komplett gescheitert ist dieses TV-Movie keineswegs. Es ist ohnehin bemerkenswert, dass es bereits zwei Monate nach dem Ende der Dreharbeiten ins Fernsehen kommt. Und Jansons bevorzugter Kameramann Marcus Stotz sorgt für eine Bildgestaltung, die den Film angenehm fließen lässt, das Drehbuch erfreut mit amüsanten Details (Chris, die sich versonnen die Haare mit einer Klobürste kämmt), es gibt lustige Slapstickmomente, und die Romanze zwischen Angie und einem Polizisten (Oliver Korittke) ist angenehm beiläufig inszeniert. Herausragend aber ist allein Katharina Thalbach, zumal ihre Greta ein umso größeres Vergnügen ist, wenn man noch ihre Kanzlerin aus „Der Minister“ vor Augen hat. (Text-Stand: 10.9.2014)