Seit geraumer Zeit erfreut die ARD regelmäßig zur Weihnachtszeit mit einer Wiederholung des Klassikers „Der kleine Lord“ (1980). Alle Jahre wieder (diesmal am 21.12.) rührt das Schicksal des amerikanischen Jungen, der als letzter verbliebener Angehöriger eines Earls nach England übersiedelt und das Herz seines verknöcherten Großvaters erweicht, große und kleine Zuschauer, und selbstredend lebt der Film vom wunderbaren Zusammenspiel zwischen dem großen Alec Guinness und dem kleinen Ricky Schroder. Nun hat das ZDF den Roman von Frances Hodgson Burnett neu verfilmen lassen, aber mit veränderten Vorzeichen: Aus dem kleinen Lord wird „Die kleine Lady“, aus dem Großvater eine Großmutter.
Für die Rolle der hartherzigen Gräfin von Liebenfels kommt nur eine deutschsprachige Schauspielerin infrage: Schon allein wegen ihrer unnachahmlichen Fähigkeit, indigniert zu blicken, ist Christiane Hörbiger die perfekte Besetzung. Dabei hat sie die Rolle dieses Jahr schon einmal gespielt. Die Degeto-Komödie „Oma wider Willen“ erzählt im Grunde die gleiche Geschichte: Eine reiche, aber gefühlskalte Unternehmerin nimmt nach dem Tod ihrer Tochter ihre Enkelin zu sich, und das kleine Mädchen bringt im Nu ihr Leben durcheinander.
Abgesehen vom veränderten Geschlecht orientiert sich das Drehbuch zu „Die kleine Lady“ eng an der Romanvorlage und siedelt die Handlung auch 1886 an, in jenem Jahr also, in dem Burnetts Buch erschienen ist: Als auch der zweite ihrer beiden Söhne stirbt, sorgt Gräfin von Liebenfels dafür, dass ihre in New York lebende Enkelin Emily nach Österreich kommt. Mit Lucille (Christiane Filangieri), der Mutter des Mädchens, will sie allerdings nichts zu tun haben; sie gibt ihr die Schuld daran, dass ihr Sohn überhaupt auf und davon ist. Emily wird nun darauf vorbereitet, in die Gesellschaft eingeführt zu werden.
Foto: ZDF / Domenigg
Natürlich besteht auch in diesem Film der Reiz darin, dass der kleine Wildfang Leben ins Schloss bringt und für allerlei Trubel sorgt. Titeldarstellerin Philippa Schöne spielt als „reizender Fratz“ entsprechend entzückend, hat aber wie viele Kinder in diesem Alter mitunter Probleme mit den Dialogen. Christiane Hörbiger ist dagegen ganz in ihrem Element; herrlich, wie die schmallippige Gräfin immer wieder unsanft aus ihrer emotionalen Starre gerissen wird, weil sich „das vermaledeite Kind“ wieder mal lautstark über die Etikette hinwegsetzt. Einige dieser Szenen sind purer Slapstick mit großem Unterhaltungswert.
Die Inszenierung besorgte Gernot Roll, einer der renommiertesten deutschen Kameramänner, der mit der Auswahl seinen Regiearbeiten nicht immer ein glückliches Händchen bewiesen hat („Ballermann 6“), aber für diesen Stoff genau der richtige ist. Verblüffendste Einstellung ist eine atemberaubende Kamerafahrt eine Wendeltreppe hinunter, als die deutsch-österreichisch-italienische Koproduktion gegen Ende dramatisch wird: Eine Betrügerin gibt sich als Witwe des Erstgeborenen der Gräfin aus und beansprucht das Erbe für ihren Sohn. Retterin in der Not ist Emilys Freundin Dolores Hobbs aus New York, die die Hochstaplerin entlarvt. Gewicht erhält die vergleichsweise kleine Rolle der New Yorker Krämerin durch die Besetzung: Die wildgelockte rothaarige Sufragette, die Zigarren raucht und nicht nur singen, sondern auch zuschlagen kann, wird von Veronica Ferres verkörpert. Dolores hat Emily jene Haltung zu verdanken, die sie zu einer modernen Figur macht, mit der sich auch heutige Mädchen identifizieren können: dass Frauen die gleichen Rechte zustehen wie Männern.
Dank der mitunter etwas laut vorgetragenen Dialoge und der altertümlichen Anrede („Frau Hobbs“) wirkt der Film mitunter allerdings noch älter als „Der kleine Lord“, und ausgerechnet Veronica Ferres ist an einigen Szenen beteiligt, in denen Roll nicht aufgepasst hat: Einmal pfeift Dolores auf zwei Fingern, obwohl sie Handschuhe trägt; und am Ende verpasst sie der Hochstaplerin eine gepfefferte Rechte, aber die Folgen des Treffers zieren die falsche Gesichtshälfte der Dame. Und mit zwei Äpfeln zu jonglieren ist nun wirklich keine Kunst.