„Der Trauschein ist der Anfang vom Ende … unserer Vergangenheit“
Betty (Senta Berger) und Peter (Günther Maria Halmer) haben drei Kinder und leben nun schon seit 43 Jahren in „wilder Ehe“ zusammen. In dieser Zeit hat er ihr mehrmals einen Antrag gemacht. „Der Trauschein ist der Anfang vom Ende“, war stets ihre Antwort. Auf gut Deutsch: Betty war kein Kind von Traurigkeit und sie wollte ihre Unabhängigkeit und Freiheit behalten. Gerade jetzt, wo sie eine Liebschaft (Michael Wittenborn) aus alten WG-Tagen wieder aufleben lässt, kommt ausgerechnet sie mit der Frage: „Wollen wir heiraten?“ Eine Laune? Krebs? Alzheimer? Der Nachwuchs, Simone (Anja Kling), Liv (Anna Fischer) und Alexander (Nicholas Ofczarek), sind etwas beunruhigt. Dabei hat Betty offenbar nur gemerkt, dass sich ihr Lebens- und Liebesstil in ihrem Alter langsam erübrigt hat. Am Tag der Hochzeit sieht alles ganz danach aus, als ob die Braut einmal nicht Zicken machen würde. Dafür ist Peter extrem angesäuert. Eine SMS und ein Überraschungsgast könnten die Trauung einmal mehr platzen lassen. Während die Eltern ihre Beziehung Revue passieren lassen, haben die „Kinder“ genug Zeit, auch ihre sehr persönlichen Angelegenheiten zu sortieren. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Pfarrersgattin Simone hatte einen Party-Quickie mit Livs neuem Freund – und ist prompt schwanger. Es dauert nicht lange und es fliegen die Fäuste.
Foto: ZDF / Conny Klein
Eine Tragikomödie mit großer Nachhaltigkeit – sprich: langen Gesichtern
Schon das Intro, in dem Senta Bergers Betty mit der für diese Schauspielerin so typischen nachdenklichen Intonation ihre Liebsten vorstellt, macht es deutlich: „Die Hochzeit meiner Eltern“ ist keine aufgekratzte Komödie der Leichtbauweise, sondern ein Film, der das Leben, die Liebe und den Beziehungsalltag ernsthaft und mit einem bitteren Lächeln reflektiert. Melancholie schwingt von der ersten Minute an mit: Die Tanzlehrerin verabschiedet sich von ihrer wilden Vergangenheit. Ein düsterer Raum – und der Geliebte von einst ist nicht mehr das, was er mal war. Doch statt Sinn-Krise versucht die weibliche Hauptfigur ein neues Fenster zu öffnen. Doch etwas scheint zu klemmen. „Seit 43 Jahren machen wir uns was vor“, rekapituliert der Mann die „wilde Ehe“ mit seinem heißen Feger, einer Frau, die von vielen begehrt wurde – und nicht umsonst Tanzlehrerin geworden ist. „Eigentlich ein Wunder, dass wir das so lange durchgezogen haben – du mit deiner Lust zu leben und ich mit meinem Phlegmatismus.“ Die jahrzehntelangen Verletzungen brechen beim Bräutigam in spe wieder auf. Sogar die Kinder haben es mitbekommen. „Papa hat gelitten wie ein Schwein“, weiß Simone, die Älteste. Sie wollte offensichtlich nicht werden wie ihre Mutter – und hat einen evangelischen Pfarrer geheiratet. Doch ihr Lebensplan ist offensichtlich schlechter aufgegangen als jahrelang gedacht. Mit sich zufrieden ist dagegen der Sohn der Familie – nette Frau, zwei aufgeweckte Kinder und er selbst ein guter Papa. Auch die Jüngste kann nicht klagen: Gerade hat sie mit ihrem „nachhaltigen Freund“ ein Restaurant für veganes Essen eröffnet. Keine Frage, dass auch sie das „Familienfest“ nicht ohne Katzenjammer überstehen.
Foto: ZDF / Conny Klein
„Wir sind, wie wir sind“ – Reden, Prügeln, Wunden lecken, Schweigen
Es ist Zeit für Geständnisse, kleine und große, und für bisher „Unentdecktes“. Was da für „alttestamentarische“ Urkräfte in einem hochkultivierten Gottesmann walten, hätte dieser als Letzter für möglich gehalten. Auch die Tochter weiß nicht, was sie veranlasst hat, den Freund ihrer Schwester auf der Toilette zu verführen. Seitensprünge oder emotionale Ausraster gehören offenbar zum Leben – und was man dem Partner sagt und was nicht, ist seine Sache. Am Ende ist auch etwas Zeit für neue Einsichten. Aber auch das selbstbewusste „Wir sind, wie wir sind“, mit dem die Mutter die Kritik an ihrer 68er-Libertinage etwas selbstgerecht abbügelt, schwingt mit – zumindest vorm großen Wundenlecken. „Die Hochzeit meiner Eltern“ ist demnach ein Parade-Beispiel für eine lebenskluge, realitätsgeschwängerte Tragikomödie. Autorin Sophia Krapoth hat das Ganze klar strukturiert (eine Geburtstagsparty, ein paar Alltagsszenen, der „Hochzeitstag“) und mit Dialogen versehen, die auf „Sinn“ und nicht auf Pointe aus sind. Die Inszenierung von Connie Walther, insbesondere der Flow zwischen den Szenen, ist für einen solchen eher dialoglastigen Film geradezu superb.
Das kluge Konversationsstück wird auch filmisch zu einem Festmahl
Die Locations sind bestens gewählt und treffen den Spirit ihrer Charaktere: Der verwilderte Garten beispielsweise, in dem die Festtagstafel aufgebaut ist, spiegelt das Lebensgefühl von Betty und Peter. Dagegen dürfte der Kahlschlag im Vorgarten, den der jahrzehntelang um das Ja-Wort kämpfende Lebenspartner veranstalten lässt, eine Retourkutsche sein auf die „Unterdrückung“ durch seine Frau, die ihn ein Leben lang dominiert hat – und die auch jetzt noch bestimmt, wann es Zeit ist, sich das Ja-Wort zu geben und wann nicht. Der Film kommt ohne vor sich hin plätschernde Verlegenheitsmusik aus; wenn es einen Score gibt, umspielt er die Situation und entfaltet eine eigene Stimmung. Und die Schauspieler sind das Salz – passender zum Film: das Safran – dieses filmischen Festmahls. Auch da zeigt sich das Händchen der Regisseurin: Alle Schauspieler, egal ob große Rollen wie Berger, Halmer, Kling oder kleinere wie Wittenborn oder Huber, spielen in derselben Tonlage. Das gibt diesem Film eine große Geschlossenheit und hebt ihn deutlich heraus aus dem Mittelmaß der zahlreichen launigen Dramödien, die im Normalfall nur dazu da sind, die Genre-Normen zu erfüllen. Apropos Happy End: Das Chaos dieser Familie ist nicht so einfach zu beseitigen. Irgendwie muss jeder mit den Wahrheiten leben. Und so ersetzen in „Die Hochzeit meiner Eltern“ Blicke, die nicht zu viel verraten, den so beliebten Verbindlichkeitsschmus. Man könnte sich gut und gern vorstellen, mal wieder bei dieser Familie am Tisch zu sitzen. (Text-Stand: 9.4.2016)