Ganz schön kompliziert geworden, die Welt. Mit Solidarität und dem Herz am rechten Fleck ist es nicht mehr immer getan. Schwere Zeiten also für Werner Träsch (Uwe Ochsenknecht), den Kümmerer in Orange, der seinen Kiez kennt, aber mit den gesellschaftspolitischen Themen der Zeit nicht ganz so vertraut ist? Mitnichten. Ist dieser Müllwerker auch nicht gebildet und belesen wie Ralle (Jörn Hentschel), sein Kollege und Freund am Steuer, so ist er doch stets offen für Neues und dankbar für Anregungen, die sein altruistisches Weltbild sinnvoll ergänzen. Ihm bleibt allerdings auch nichts anderes übrig mit einer Journalistin (Laura Louisa Garde) zur Tochter, einer Lebenspartnerin wie Späti-Besitzerin Gabi (Adelheid Kleineidam) und mit einem jugendlichen Mit-Müllwerker (Aram Arami), der ihm zwar bei seinem sozialen Engagement nacheifert, aber mit einem Elan, den ein Sechzigjähriger nicht mehr ständig aufbringen kann. Und so muss Werner einsehen, dass „Containern“ kein Diebstahl ist, sondern für etliche Menschen in Berlin überlebenswichtig, und er lernt von Gabis Neffen Tim (Lukas Leibe), der übergangsweise bei ihm wohnt, und seiner Aktivistengruppe noch einiges mehr über unsere deutsche Wegwerfgesellschaft: 15 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich – einfach nur unfassbar. Und er lernt – nachdem ein Transmann bei der „Mülle“ mitrackert – sogar einiges über Transsexualität.
„Zu gut für die Tonne“, der siebte Film aus der ARD-Reihe „Die Drei von der Müllabfuhr“, wird also zur Lehrstunde für Uwe Ochsenknechts Werner Träsch, diese Held-des-Alltags- und Identifikationsfigur für die ARD-Unterhaltungsfilm-Zielgruppe am Freitagabend, die das Helfersyndrom gesellschaftlich relevant ausleben darf. Dass eine der Episodenhauptfiguren Lehrer werden möchte, passt ins Bild. Für die Ü60-Zielgruppe mag erheblicher Informationsbedarf bestehen bei Themen wie „Containern“ oder Trans-Identität. Mit einem etwas blauäugigen Vermittler, fremdelnd mit dem Zeitgeist wie viele seiner Generation, aber eben doch wohlwollend und tolerant in seinem Verhalten, kann eine solche leichte Dramödie auch „einen Beitrag zur kritischen Bewusstseinsbildung leisten“ (Presseheft). So dürften sich das die Macher gedacht haben. Träsch nicht wie in den ersten Episoden zum Maß aller moralischen Dinge zu machen und den Kiez zum Nabel der Welt, war eine gute Entscheidung. Diese Erweiterung der Perspektive schafft Raum für Entwicklung, für neue Erfahrungen und Einsichten. Andererseits geht gerade in der ersten der beiden neuen Episoden (Buch: Gernot Gricksch) etwas verloren vom Charme des Alltags, der früher die Kiez-Momentaufnahmen belebte. In der ersten Hälfte von „Zu gut für die Tonne“ werden soziale Themen und individuelle Probleme angehäuft, dass keine Zeit für die stimmigen Details bleibt, die für die Reihe bisher typisch waren. Und so werden die Geschichten vom Kritiker nicht als Alltags-Geschichten wahrgenommen, sondern als dramaturgisches Konstrukt. Erst als alle Konflikte auf dem Tisch liegen, findet der Film zu sich selbst, und es schlägt die Stunde der Charaktere.
Stimmiger werden die Geschichten in der zweiten Episode (Buch: Julia Drache) erzählt. In „(K)eine saubere Sache“ hat man wieder mehr den Eindruck, dass sich die Themen aus dem Alltagsleben ergeben. Dazu gehört, dass sich das feste Personal wieder öfter trifft: Eine Szene zwischen Werner und Gabi im Bett, seine Tochter Annika mit Tarik beim Restaurant-Besuch, eine Stippvisite des Müllwerkers beim alten, vereinsamten Kowalski – aus solchen Alltags-Situationen ergeben sich nach und nach die Geschichten. Und weil keine Fakten referiert werden, sondern großartige Mimen wie Jutta Wachowiak und Axel Werner universale Gefühle zum Ausdruck bringen, kommen einem die Charaktere und geht einem diese Geschichte sehr nahe. Eine Frau, die sich bei alten, alleinstehenden Menschen als Haushälterin in deren Leben einschleicht (Victoria Mayer), hat es auf deren Wohnungen abgesehen. Auch der B-Plot bringt mit dem weiblichen Zuwachs im Führerhaus Emotionen ins Spiel, obwohl es Pamela (eine Wucht: Gisa Flake) selbst nicht so hat mit dem Zeigen von Gefühlen. Die übermotivierte „Solistin“, einst Kugelstoßerin und Altenpflegerin, will „männlicher“ sein als jeder Mann. Das kann nicht lange gut gehen mit dem eingeschworenen Trio, das auf Teamgeist setzt. Und dann bekommt diese etwas schwierige Frau vom „Käpt’n“ auch noch ein anzügliches Präsent.
Soundtrack:
„Zu gut für die Tonne“: Aimee Mann („Save me“), Ton Steine Scherben („Halt dich an deiner Liebe fest“), Queen & David Bowie („Under Pressure“), Tom Waits („Tom Trauberts Blues (Waltzing Matilda)“)
„(K)eine saubere Sache“: Aretha Franklin („Respect“), Paul Kuhn („Eine Freundin so goldig wie du“), Bill Conti („Gonna Fly Now“), The Nat „King“ Cole Trio („A Woman always understands“), Beatles („With A Little Help from my Friends“)
Aha-Effekte gibt es auch in diesem Film: Dass ein Restaurant, das keinerlei Müll produziert, dennoch für die leer bleibenden Müllcontainer bezahlen muss, wird hier allerdings angenehm beiläufig nebenher erzählt. Und während in der „Tonnen“-Episode über allem der verbal behauptete und mit Buhmännern künstlich hochgejazzte Prozess zwischen einem Wachmann (Karl Schaper) und Werner & Co schwebt, sind in „(K)eine saubere Sache“ die Beteiligten physisch handelnd statt nur verbal aktiv. Die Bedrohungslage ist sehr konkret, wird hautnah im Bild vermittelt, und eine Frau, die hilflose Menschen um ihre Existenz bringt, kann sich zudem der Antipathie der Zuschauer*innen sicher sein (wobei Mayer diese Frau angenehm zurückhaltend spielt). Die etwas künstlich konstruiert wirkende Wegwerf- und Armuts-Geschichte in „Zu gut für die Tonne“ endet zwar mit einer originellen szenischen Lösung, in der die zerstrittenen Parteien anstatt im Gerichtssaal bei einem Festmahl mit Container-Zutaten aufeinandertreffen, setzt aber für den finalen Haltungswandel auf eine „Moralpredigt“. Das ist kein Argument gegen gesellschaftskritische Diskurs-Themen, erst recht nicht gegen das im Film behandelte, sondern ein Argument für ein effektiveres Erzählen, das weniger auf ein solches altväterlich pädagogisches Konzept setzt. Und auch wenn eine Filmfigur Lehrer werden will, in die Schule möchte am Freitagabend dann doch keiner mehr zurück.