Der Zürich-Krimi – Borchert und die Stadt in Angst

Kohlund, Klink, Jakoby, Bennent, Richter. Wenn sich Lebenswege tragisch kreuzen

Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Foto Tilmann P. Gangloff

Der Zweiteiler aus der Reihe mit Christian Kohlund ist nicht so packend wie sonst, aber die Story ist klasse: Nacheinander werden scheinbar wahllos mehrere Menschen ermordet. Die Polizei steht vor einem Rätsel, zumal selbst eine KI keine Verbindungen findet; Anwalt Borchert ist dank seiner Fähigkeit, um die Ecke zu denken, die letzte Hoffnung. Die Handlung hat durchaus Hochspannungspotenzial; 180 Minuten sind jedoch schlicht zu lang für die Geschichte. Selbst wenn das Drehbuch von Wolf Jakoby manch’ überraschenden Haken schlägt: Mindestens eine Nebenfigur ist komplett überflüssig, einige Szenen hätten sich problemlos sehr viel kürzer erzählen lassen. Roland Suso Richter hat die besten „Zürich-Krimis“ gedreht; ausgerechnet der zwanzigste Film, „Borchert und die Stadt in Angst“ (Degeto / Graf Film, Mia Film), gehört nicht dazu.

Raffiniert konzipierte Krimis sind wie ein anspruchsvolles Puzzle, für das es keine Vorlage gibt: Am Anfang wirken die vielen verschiedenen Informationen komplett chaotisch. Nach und nach fügen sich jedoch immer mehr Teile zusammen. Schließlich erreicht die Geschichte jenen Punkt, an dem alles einen Sinn ergibt, der Fall scheint gelöst; wäre da nicht dieses letzte Stück, das einfach nicht ins Bild passt. Diesem Muster folgt auch Wolf Jakobys Drehbuch zum zwanzigsten „Zürich-Krimi“. Roland Suso Richter hat mehr als die Hälfte der bisherigen Episoden gedreht, seine Beiträge gehören mit Abstand zu den besten, einige waren nicht zuletzt wegen der stets formidablen Bildgestaltung herausragend. Die Drehbücher stammten dabei meist von Jakoby, der sich auch diesmal eine ungewöhnliche Story ausgedacht hat. Anlässlich des Jubiläums hat die ARD der Reihe einen Zweiteiler spendiert. Das war keine gute Idee: Zwischenzeitlich verliert „Borchert und die Stadt in Angst“ erheblich an Spannung.

Der Zürich-Krimi – Borchert und die Stadt in AngstFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Ohne Widerstand: Der „Zürich-Killer“ Moritz Bührer (Matthias Weidenhöfer) wird festgenommen. Ist jetzt alles gut?

Dabei erfüllt die Handlung alle Voraussetzungen für einen packenden Thriller: Nacheinander werden in Zürich auf offener Straße mehrere Menschen ermordet. Wie eine Signatur ist an jedem Tatort eine stilisierte Sonne hinterlassen worden. Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) von der Kantonspolizei steht vor einem Rätsel, denn es gibt ansonsten keinerlei Verbindungen zwischen den Taten: Die Opfer – eine Kantonsrätin, ein Student, ein Koch, eine Polizistin, ein Chefarzt – hatten nichts miteinander zu tun. Selbst eine Spezialistin (Oona Devi Liebich) mit FBI-Ausbildung und entsprechender Software kann kein Muster erkennen: „wie eine mathematische Formel, die nur aus Variablen besteht.“ Sollte tatsächlich jemand wahllos und willkürlich Leute umbringen, wäre das für Furrer und sein Soko-Team ein Ermittlungs-Albtraum. In seiner Not bittet er Thomas Borchert (Christian Kohlund) um Hilfe. Der Anwalt besitzt im Unterschied zur KI die Fähigkeit, um die Ecke zu denken. Als es ihm gelingt, in einigen ein Jahr zurückliegenden Ereignissen einen tragischen Zusammenhang zu erkennen, geraten er und Kanzleipartnerin Dominique (Ina Paule Klink) selbst in Lebensgefahr.

Verdichtet auf 120 Minuten wäre „Stadt in Angst“ ein Film von enormer Intensität geworden. Mindestens ein Nebenstrang hätte sich problemlos streichen lassen: Furrer gerät ständig mit seinem Stellvertreter Lueger (Sebastian Krähenbühl) aneinander. Der Mann hält sich für einen Superbullen und präsentiert tatsächlich irgendwann triumphierend den vermeintlichen Täter (Robin Sondermann). Die beiden Polizisten wetteifern zudem um die neu zu besetzende Kommandantenstelle. Der unsympathische Lueger ist allerdings viel zu überzeichnet und macht sich zu allem Überfluss auf eine Weise an die KI-Kollegin ran, die an sexuelle Belästigung grenzt. Die IT-Expertin hat wiederum ein Auge auf Furrer geworfen, was prompt Dominiques Argwohn weckt. Den Film bringen diese Geplänkel keinen Schritt weiter. Andere Szenen sind schlicht zu lang, als habe Richter die Handlung beim Schnitt strecken müssen, um die knapp 180 Minuten zu füllen. Selbst die Kameraarbeit (Andrés Marder, ebenfalls schon bei mehreren von Richters „Zürich-Krimis“ dabei), ist nicht so bemerkenswert wie sonst. Die Bilder sehen zwar gewohnt hochwertig aus, aber anders als ein schwungvoller Drohnenflug mit verblüffender 180-Grad-Drehung während des Prologs wirken einige ungewöhnliche Blickwinkel und Spiegelungen wie unnötige Spielerei.

Der Zürich-Krimi – Borchert und die Stadt in AngstFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Besetzungscoup: Geschwister vor und hinter der Kamera. Anne Bennent und David Bennent im „Zürich-Krimi“-Jubiläumsfall

Ähnlich wie ein Pokalspiel, bei dem es lange 0:0 steht, bleibt „Stadt in Angst“ dennoch fesselnd, zumal Jakoby mit dem Prolog einen Erzählstrang einführt, der scheinbar im Nichts endet: Elf Monate vor der Mordserie verunglückt ein Auto auf einer Landstraße; die fünfköpfige Familie war auf dem Weg zum Schnebelhorn, dem höchsten Gipfel des Kantons Zürich, um von dort eine Sonnenfinsternis zu beobachten. Borchert findet raus, dass die damalige letzte Oktoberwoche für alle Mordopfer von besonderer Bedeutung war. Gleichfalls interessant und ähnlich rätselhaft ist eine durchgehende Ebene mit Rückblenden ins Jahr 1975 und zwei Waisenkindern, die im Heim aufwachsen. In der Gegenwart wird der Junge sehr berührend von David Bennent verkörpert; dass seine Schwester Anne die Filmschwester spielt, gibt den Szenen noch mehr Bedeutung. Wie diese beiden Stränge zusammengehören, was sie mit den Morden zu tun haben und welche Verkettung unglücklicher Ereignisse zu den Attentaten geführt hat, wird selbst ein passioniertes Krimipublikum überraschen.

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Eine Antwort

  1. Ich muss dem Kritiker hier recht geben 180 Minuten sind definitiv zu lang gewesen für diese Story zumal gerade nach der Einblendung des Unfalls am Anfang des ersten Teils klar war dass hier in Bezug ist den man aus anderen Krimis kannte das einzige neue war einfach dass die Ursache der Tötungen nicht die Rache war sondern dass die Schuld die der Betroffene nicht auf sich nehmen wollte sondern sie auf andere abgewälzt hat und sie dafür verantwortlich gemacht hat was passiert ist das ist das einzigste neue ansonsten klar es war gut gedreht es war gut gespielt aber zu lange zu gedehnt und manche Szenen waren einfach überflüssig. Mit freundlichen Grüßen
    Wolfgang Ziegelmayer

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Ina Paule Klink, Pierre Kiwitt, David Bennent, Anne Bennent, Oona Devi Liebich, Sebastian Krähenbühl, Susi Banzhaf, Yves Wüthrich, Matthias Weidenhöfer, Robin Sondermann, Robert Hunger-Bühler, Thilo Prothmann

Kamera: Andrés Marder

Szenenbild: Detlef Provvedi

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Achim Seidel

Musik: Michael Klaukien

Soundtrack: FKA twigs („Cellophane“)

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion, Mia Film

Produktion: Klaus Graf, Livia Graf-Bechler , Annemarie Pilgram, Michael Pokorný

Drehbuch: Wolf Jakoby

Regie: Roland Suso Richter

Quote: (1): 6,28 Mio. Zuschauer (25% MA); (2): 5,77 Mio. (22,7% MA)

EA: 02.12.2024 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 05.+12.09.2024 20:15 Uhr | ARD

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