Der Pfarrer und das Mädchen

Rainer Hunold, Henry Hübchen, Katja Flint. Ein schuldbewusster Pfarrer im Wedding.

Foto: ZDF / Hardy Spitz
Foto Harald Keller

Ein Priester im Kiezmilieu – für den Karfreitag hat das ZDF dieses schon oft durchgespielte Muster neu aufgelegt. Doch „Der Pfarrer und das Mädchen“ ist keine Offenbarung. Rainer Hunold als Pfarrer Thomas kehrt nach Jahren in Afrika in den Berliner Wedding zurück, wo er einst wilde Jugendjahre verlebte und schwere Schuld auf sich lud. Die trägt er erkennbar noch immer mit sich herum. Ablenkung findet er, indem er der in Not geratenen Tochter seiner Haushälterin beisteht. Ein durchsichtig konstruiertes Feiertagsmelodram um einen Glaubensmann – aber bar jeder Glaubwürdigkeit. Ausnahme: Nicole Mercedes Müller

Holla, der neue Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Paulus im Berliner Wedding, ist ein patenter Kerl. Pfarrer Thomas (Rainer Hunold), nach langer Missionstätigkeit in Ghana nach Deutschland zurückgekehrt, kommt spät abends an, findet Kirche und Pfarrhaus natürlich versperrt (vermutlich muss er sich erst wieder an deutsche Gebräuche wie das Abschließen von Außentüren gewöhnen), weiß sich aber fix zu helfen: Er fischt einen Draht aus dem Abfall und biegt ihn sich zurecht, um das Schloss kurzerhand zu knacken.

Drinnen trifft er auf die junge Tessa (Nicole Mercedes Müller), die sich unbefugt einquartiert hat. Ein Kamerablick auf einen Schwangerschaftstest hat bereits verraten, dass sie in anderen Umständen und offenbar darüber zutiefst unglücklich ist. Tessa ist die Tochter der Polin Agnieszka Nowak (Julia Krynke), die in der Kirchengemeinde als Haushälterin einen von mehreren Jobs absolviert und als Katholikin gegen die Abtreibung eingestellt ist, so wie natürlich auch Pfarrer Thomas. Beider Ansichten werden herausgefordert, als sich zeigt, dass Tessas Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückgeht. Täter ist, der Wedding ist klein, der Sohn von Thomas‘ altem Kumpel Max Polke (Henry Hübchen). Vor seiner Berufung war Thomas ein wilder Bengel und Max sein ständiger Begleiter. Als Thomas im Suff ein Mädchen zu Tode fuhr, übernahm Max die Verantwortung und ging für den Freund ins Gefängnis.

Soundtrack: Richard Haus („In der Tasche die Faust“), T. Rex („20th Century Boy“), Fergie feat. Q-Tip & Goonrock („A Little Party Never Killed Nobody“)

Der Pfarrer und das MädchenFoto: ZDF / Hardy Spitz
Alte Freunde? Wiedersehen nach über 30 Jahren. Rainer Hunold, Henry Hübchen – wenigstens die Besetzung stimmt.

Bis heute trägt Thomas die Schuld mit sich herum. Er sucht Vergebung bei dem Vater des Mädchens, der jedoch an Alzheimer erkrankt ist und sich an die eigene Tochter nicht erinnern kann. Immer wieder schlurft Thomas zu der Kreuzung, an der der Unfall geschah, schaut betroffen auf den feucht schimmernden Asphalt und zieht unerlöst von dannen, um fortan in der Gegenwart Gutes zu tun. Er vermittelt zwischen Tessa und ihrer Mutter und bestärkt sie darin, den Vergewaltiger anzuzeigen, auch wenn es sich um den Spross seines Gönners Polke handelt, der ihm daraufhin nicht nur die Freundschaft, sondern auch die bereits zugesagten Mittel zur Renovierung der reparaturbedürftigen Kirche kündigt. Was soll‘s – Thomas schart die kleine Gemeinde um sich, die durch Dienstleistungen & Spenden das alte Gemäuer wieder herrichten wird. Und er kann dem Immobilienbeauftragten des Erzbischofs, der die Kirche am liebsten verkauft oder abgerissen hätte, eine lange Nase zeigen. Symbolisch gesprochen.

„Der Pfarrer und das Mädchen“ wird vom ZDF am Karfreitag ausgestrahlt und erscheint wie ein vom Termin veranlasstes Pflichtprogramm. Die Konflikte wirken aufgesetzt, das Milieu herbeizitiert. Keinem der erwachsenen Schauspieler nimmt man seine Rolle ab – man sieht keinen Pfarrer, sondern Rainer Hunold, wie er einen Pfarrer spielt. Träge und schuldbewusst schleppt er sich durchs Geschehen. Laut Drehbuch soll ihm der Erhalt der Kirchengemeinde ein Herzensanliegen sein, aber von dieser Leidenschaft ist nichts zu spüren. Man sieht vielmehr einen müden, unter seiner Bürde ächzenden, mit sich selbst beschäftigten Mann, der eher auf einen baldigen Ruhestand zu hoffen scheint. Henry Hübchen gibt einmal mehr den präpotenten Goldkettenträger, Katja Flint verkörpert eine Kiez-Friseurin mit breitem Dialekt und goldenem Herzen, als wäre sie einer Sketchshow entlaufen, und spricht Sätze wie „Ich schneide dir jetzt wirklich eine Tonsur, so wie du doof bist“. Nur Nicole Mercedes Müller („Sechse kommen durch die ganze Welt“), die Darstellerin der Tessa, versteht es, den Betrachter für die von ihr gespielte, von heftigen Nöten geplagte Figur einzunehmen. Die mangelnde Stimmigkeit äußert sich übrigens auch im Umgang mit der Sprache. Ein katholischer Theologe jenseits der Sechzig wird keine dümmlichen Synchronesisch-Phrasen wie „Willst du reden?“ verwenden. Und wenn doch, sollte er umgehend in ein Schweigekloster verbannt werden. (Text-Stand: 6.3.2015)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Rainer Hunold, Henry Hübchen, Nicole Mercedes Müller, Katja Flint, Maja Maranow, Julia Krynke, Özgür Karadeniz

Kamera: Gunnar Fuss

Szenenbild: Klaus R. Weinrich

Kostümbild: Helene Hohensee

Schnitt: Dora Vajda

Musik: Jörg Lemberg

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Annika Tepelmann, Heiko Schier, Jochen Greve – nach einer Idee von Hans Joachim Mendig

Regie: Maris Pfeiffer

Quote: 3,77 Mio. Zuschauer (12,1% MA)

EA: 03.04.2015 20:15 Uhr | ZDF

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