Auf der Suche nach einem Mann ohne Schatten
Ein ungewöhnlicher Auftrag verschlägt Joachim Vernau nach Havanna. Der Berliner Anwalt, der schon bessere Tage gesehen hat, soll dort einen Job machen, der mehr die Arbeit eines Privatdetektivs ist: Vernau soll einen Mann finden, der sich vor über 30 Jahren aus West-Berlin abgesetzt hat und heute offenbar in Kuba lebt. Auftraggeber ist die Schwester jenes Martin Gebhardt, die wegen einer Erbschaftsangelegenheit den Kontakt zum verlorenen Bruder sucht, die aber auch endlich verstehen möchte, weshalb er ihr und seiner Heimat einst den Rücken gekehrt hat. Sie und ihre Eltern waren konservativ, Martin dagegen stand als Hausbesetzer & Straßenkämpfer in vorderster Front – waren es wirklich nur diese politischen Gründe? Als Vernau den deutschen Exilanten tatsächlich in Havanna ausfindig macht, dieser einem kurzen Treffen zustimmt und alle erforderlichen Unterschriften gibt, scheint der Auftrag erfüllt. Doch dann ist sich Katherina Gebhardt sicher: der Mann ist nicht ihr Bruder.
Eine Havanna, eine schöne Frau, ein Mojito – Anwalt, was willst du mehr!?
„Der Mann ohne Schatten“ ist die dritte Episode um jenen Anwalt, der sich – welch ein Zufall – immer wieder in deutsch-deutsche Geschichten verwickelt sieht. In der ersten Hälfte des Films, der abermals nach dem Drehbuch der Romanautorin Elisabeth Herrmann und unter der Regie von Carlo Rola entstanden ist, spürt man von der historischen Tragweite allerdings so gut wie nichts. Die ersten 40 Minuten steht die Frage im Raum: Weshalb will dieser Mann seine Schwester nicht mehr sehen? Der Film plätschert – kleine Aufreger wie ein folgenloser Überfall auf die Hauptfigur inklusive – anfangs entspannt wie ein Kuba-Urlaub dahin. Eine Havanna, eine schöne Frau, ein Mojito – kleiner Anwalt, was willst du mehr!? Ansehnlich ist dieser Auslandstrip auch für den Zuschauer. Da können Carlo Rola und sein Kameramann Frank Küpper so richtig schwelgen in einer stimmungsvollen Optik: stilvolle Cadrage, coole Farben, schöner Verfall (eines einst sozialistischen Vorzeigelandes). Nachdem die Handlung die notwendige Wendung nimmt, rückt in der Folgezeit die Geschichte hinter dieser Geschichte in den Fokus. Und es ist eine unglaubliche Geschichte, wie so Vieles, was sich im Namen der DDR und ihrer Hauptverwaltung Aufklärung zu Zeiten des Kalten Kriegs zwischen Ost und West abspielte. Leider aber werden diese Ereignisse nur wenig spannend erzählt.
Eine unglaubliche Geschichte unglaublich ungeschickt erzählt
Ein Mann macht eine Reise. Besonders die erste Hälfte von „Der Mann ohne Schatten“ leidet dramaturgisch unter der Eindimensionalität seiner Geschichte, der Linearität der Handlung und der Mit-dem-Blick-des-Fremden-Perspektive dieses Ego-Auslandtrips. Aber auch in der zweiten Hälfte bleibt es dabei, dass Elisabeth Herrmann die Story am langen Faden erzählt, unterbrochen von kompakten Erklärszenen, in die einige wenige Rückblende eingeflochten werden. Es ist anzunehmen, dass der sparsame Umgang mit jenen Flashbacks Budget-Gründe hat; verbale Nacherzählungen historischer Ereignisse sind nun einmal preiswerter als filmisch dargestellte. Unerklärlich bleibt dagegen die ungeheuerliche Redundanz dieser verbalen Schlüsselszenen. Zwei Mal wird fast die identische unglaubliche Geschichte erzählt, mit zwei Erzählern und zwei Adressaten – allein der Zuschauer hört die Geschichte doppelt und wundert sich. Liegt es daran, dass sich hier eine Romanautorin – offensichtlich ohne dramaturgische Unterstützung – an ein Drehbuch gemacht hat? Es stimmen im Übrigen aber häufig auch die emotionalen Nuancen nicht (was ja eher ein Aspekt der Inszenierung und des Spiels ist). So wird beispielsweise der Abschied zwischen Vernau & der Deutsch-Kubanerin, mit der er gerade mal zweieinhalb Nächte verbrachte als viel zu großer Moment inszeniert.
Dem „Mann ohne Schatten“ wird keine Kontur gegeben – aus Angst?
Das Hauptmanko aber ist die schwache Akzentuierung der Geschichte, insbesondere der fehlende Mut der Macher, tiefer in die Vita des „Mannes ohne Schatten“ einzutauchen. Das wenig aufregende, eher spannungsarme Finale legt nahe, dass Henry Hübchens Exilant – anders als der ZDF-Pressetext verspricht – keiner ist, der unbequeme Fragen „mit Mord“ beantwortet, sondern dass dieser ein abgezockter Kerl und vor allem ein gebrochener, tief tragischer Charakter ist. Den Schauspieler für eine solche Geschichte hätte man jedenfalls gehabt, den Mut aber diesem doppelbödigen Mann ein Gesicht zu geben, hatte man offenbar nicht. Wahrscheinlich wollte man nicht in Versuchung kommen, einen Stasi-Mann als Mensch zu zeigen. Und so ist „Der Mann ohne Schatten“ über ein unglaubliches, politisches Phänomen der deutschen Vergangenheit ein unglaublich belangloser Film geworden, der am Ende aussieht wie ein um Jan Josef Liefers gebautes Vehikel, ein Film, der seine Zuschauer bekommen wird, der sein Thema aber fahrlässig verschenkt. (Text-Stand: 12.12.2014)