„Der Mann mit dem Fagott“ ist kein Bio-Pic, kein Spielfilm über die Karriere von Udo Jürgens. Entstanden nach dem autobiografischen Roman des Sängers, erzählt der Film von Miguel Alexandre eine Familiengeschichte über mehr als 100 Jahre: die bewegte Geschichte der Bockelmanns, dem Clan von Udo Jürgen Bockelmann. Da ist zunächst der Großvater, den die Sehnsucht nach der russischen Seele von Bremen nach Moskau trieb, wo er Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Privatbankier aufstieg. Der Erste Weltkrieg zerstörte seine Träume von der deutsch-russischen Freundschaft. Jener Heinrich Bockelmann hat vier Kinder. Eines ist Rudi Bockelmann. Als Bürgermeister in Kärnten ist er zunächst ein großer Anhänger Hitlers, kurz vor Kriegsende offenbart sich auch ihm das wahre Gesicht der Nazis. Udo Jürgen Bockelmann ist sein Sohn. Dieser bringt sich als Knirps das Klavierspielen selbst bei, imitiert am Flügel die Geräusche der Bomber, lässt sich von einem Jungzugführer das Trommelfell zerschmettern, bevor er als Teenager den Jazz für sich entdeckt, mit Mitte 20 durch Bumslokale tingelt, um schließlich mit über 30 seinen Durchbruch zu feiern.
Foto: Degeto / ORF / Toni Muhr
Eine solche detailreiche Familienchronik zu einem Film zu machen ist ein nahezu unmögliches Unterfangen. 205 TV-Minuten im Medium des Augenscheins und der dramaturgischen Geradlinigkeit, das ist etwas anderes als Erinnerungen, Reflexionen, Anekdoten. Und so fragt man sich als Zuschauer recht bald, was hat das alles mit Udo Jürgens zu tun? Müssen wir etwa bis zu Teil 2 auf den Mann im weißen Bademantel warten? Gut erzählte historische Geschichten, die einen breiten Zeitbogen spannen, haben ihren Wert. Dies unterstrich zuletzt „Schicksalsjahre“ mit Maria Furtwängler. Bei „Der Mann mit dem Fagott“ aber hat man lange den Eindruck, hier werde eine literarisch-historische Geschichte lediglich illustriert, werden die Stationen einer Familie brav bebildert und abgearbeitet. Da ist wenig Leben, wenig Subjektivität spürbar. Auch kaum eine Outdoor-Massenszene aus dem Russland der Vorrevolutionszeit, die mehr als Kulissenzauber in leblosen (Halb-)Totalen bietet. Düstere Zeiten müssen offenbar schön hell ausgeleuchtet werden im Fernsehen. Dafür bekommt Gernot Roll sicher keinen Grimme-Preis. Gegen die sterilen historischen Dekors befinden sich die überzeugenden Christian Berkel und Melika Fouroutan auf verlorenem Posten.
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Nach 40 Minuten dann ein Sprung in die 50er Jahre. Endlich! Denn was interessiert in einer Geschichte, in der Udo Jürgens mitspielt, die in seine Kindheit leuchtet und seinen Selbstfindungsprozess als Künstler anreißt und den ersten Höhepunkt seiner Karriere, den Sieg 1966 beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, (wunderbar) emotional auskostet, was interessieren da die Leute, solange sie nicht zur Familie Bockelmann gehören, diese historisch-narrativen Versatzstücke (Aufstieg, Flucht, Todesgefahr, die Helfer, der Wahnsinn der letzten Kriegstage), die man so oder ähnlich schon 1000 Mal und vor allem besser gesehen hat. Vielleicht noch der Großvater, aber der Vater von Udo Jürgens, der verkappte Nazi, den die Historie läutert, interessiert uns eigentlich kein bisschen. Auch wenn ihn Ulrich Noethen gewohnt überzeugend spielt. Wir warten doch nur auf Udo, auf den Mann am Klavier.
Um auch die Geschichten um den „Mann mit dem Fagott“ goutieren zu können, müssten sie besser sein. Sie kommen gegen den Mythos, die Kindheitsikone, den Schlager-Revolutionär, den sympathischen Liedermacher Udo Jürgens einfach nicht an. Nach dem ersten Zeitsprung in die „Swinging Fifties“ wächst die Hoffnung auf ein Bio-Pic über Udo Jürgens. Auch wenn die Inszenierung in diesen Szenen über das schwarze Schaf der Familie (im Vergleich beispielsweise mit dem Bio-Pic „Romy“) allzu sehr an die billigen Schlagerfilme aus jenen Jahren erinnert, in denen gelegentlich auch Udo Jürgens mitträllerte, so geben diese Bilder doch ein Versprechen: auf eine Karriere, aber auch auf einen kurzweiligeren Film. Teilweise wird das Versprechen gehalten. Teilweise heißt es dann aber wieder: warten auf Udo.
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Udo Jürgens über seinen Roman „Der Mann mit dem Fagott“:
„Das Buch sollte das, was mein Großvater, mein Vater und seine Brüder erlebt und bewältigt haben, ihre Biografien, die von der europäischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts geprägt wurden, vor dem Vergessen und Versinken in der Zeit bewahren.“
Die Pop-Ikonografie, die Sprache der „Twens“ und der Ausbruch der Jugendkultur in den Fünfzigern sind kompatibel mit dem Heute, mit Udo Jürgens, der sich selbst spielt, mal auf der Bühne zu Beginn, mal in Moskau, von wo er die Titel gebende Statue „heim holt“. Mit dem Leben, den Sitten und Gebräuchen vor 100 oder 70 Jahren hat das alles wenig zu tun. Historie und Pop passen nicht zusammen. Wie gesagt: „Der Mann mit dem Fagott“, ein unmögliches Unterfangen. Selbst wenn der Fan über den Kritiker obsiegt, bleibt wohl doch mehr Melancholie als Befriedigung. Dennoch ist es besser, es gibt diesen Film, als es gäbe ihn nicht. Außerdem lässt sich jetzt erahnen, weshalb Jürgens „Anuschka“ geschrieben hat.