Hannes Jaenicke hätte sicher nichts dagegen, wieder mal als Schauspieler ausgezeichnet zu werden, aber angesichts seines Engagements für den Naturschutz bedeuten ihm die entsprechenden Ehrungen vielleicht sogar noch mehr: weil sie helfen, das Augenmerk der Öffentlichkeit auf die wirklich wichtigen Dinge zu lenken. Andererseits weiß er natürlich, dass er mit seinem Brotberuf mehr Menschen erreicht als mit zornigen Büchern oder der vielfach gewürdigten ZDF-Reihe über bedrohte Tierarten („Im Einsatz für…“, seit 2008). Deshalb befassen sich die „Amsterdam-Krimis“ immer wieder auch mit relevanten Themen, etwa mit der illegalen Entsorgung des europäischen Giftmülls in Asien oder mit „Blutdiamanten“. In der zehnten Episode, „Die letzte Zeugin“, wartet ein Menschenhändler auf seinen Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof. Irfan Dewi sieht der Verhandlung allerdings äußerst gelassen entgegen: Ein Killer hat dafür gesorgt, dass kaum noch jemand übrig ist, der gegen ihn aussagen könnte.
Foto: ARD Degeto Film / Dinand van der Wal
Regie führte wie schon beim sehr guten letzten Film („Der falsche Tote“) Sebastian Ko. Seine zweite Arbeit für die Reihe ist noch dichter, obwohl die Handlung diesmal weniger Thrillermomente enthält, selbst wenn sie mit einer typischen Hochspannungsszene beginnt: Eine Frau beobachtet einen Mord und rennt davon. Ihre Flucht endet vor einer verschlossenen Tür, sie dreht sich um und schaut in die Mündung einer Waffe, dann folgt eine lange Rückblende: „Zwei Tage zuvor“. Ein Polizist ist erschossen worden. Seine letzte Botschaft enthält Datum, Uhrzeit und die Koordinaten einer Wiese auf Java Island. Hier ist zwar nichts Verdächtiges zu entdecken, aber selbstredend trügt der Schein. Kurz darauf landet ein Hubschrauber, um einen Mann abzuholen, der harmlos auf einer Bank saß, und nun wird’s dramatisch. Eigentlich sollte die junge Kollegin Zoe, die beim letzten Einsatz eine Geiselnahme überstanden hat, gar nicht mitkommen. Alex Pollack (Jaenicke) hat seinen Freund Bram de Groot (Fedja van Huêt) überredet, sie trotzdem mitzunehmen, und jetzt ist sie tot: Der Mann auf der Bank ist Dewis Auftragsmörder. Sein eigentliches Ziel war allerdings der Heli-Pilot, der, wie Pollack später herausfindet, im Auftrag des Menschenhändlers Organe transportiert: Wer nicht das nötige Bargeld für die Flucht nach Europa hat, kann auch eine Niere „spenden“, so wie Safiya (Shanaya Dap), die junge Ghanaerin aus dem Prolog, die so den Transport ihrer kleinen Schwester bezahlen soll.
Vor diesem Hintergrund entwickelt das dreiköpfige Drehbuchteam (Ko, Christoph Wortberg und Julia Neumann) nun eine dank der komplexen Nebenfiguren handlungsreiche Geschichte, die auf vorbildliche Weise Spannung und Anspruch kombiniert. Pollack geht dieser Fall noch näher als der letzte, weil ihm Safiya, deren Familie bei einer Hochwasserkatastrophe ums Leben gekommen ist, ans Herz gewachsen ist. Als am Schluss niemand mehr übrig ist, der gegen Dewi (Alexander Lekatompessy) aussagen kann oder will, bleibt die Ghanaerin als einzige übrig, aber auch diese Hoffnung ist bedroht, weshalb das fesselnde Finale für Pollack auch zu einem Wettlauf mit der Zeit wird.
Foto: ARD Degeto Film / Dinand van der Wal
Ko hat „Die letzte Zeugin“ mit dem gleichen Team gedreht wie „Der falsche Tote“ und den Bildern gemeinsam mit Kameramann David Hofmann eine noch farblosere und dank vieler Szenen im Zwielicht noch düsterere Ästhetik gegeben. Der Film hebt sich handwerklich ohnehin deutlich vom üblichen Krimigeschehen ab. Mag sein, dass auch mehr Geld als sonst zur Verfügung stand, aber in einigen Szenen sorgen einfache Ideen für zusätzliche Dramatik, wenn beispielsweise bei Safiyas Flucht vor dem Mörder das Licht aus- und stattdessen die rote Notbeleuchtung angeht, oder wenn sich der Schnitt dem Rhythmus einer flackernden Neonröhre anpasst. Nach Zoes Tod entschwindet die Kamera zwar wie üblich gen Himmel, doch dann folgt eine überraschende Panoramaaufnahme mit Fischaugenobjektiv. Die Erzählweise wirkt diesmal insgesamt ruhiger, weil es abgesehen von der Flucht und dem Showdown zwischen Pollack und dem Killer deutlich weniger Actionszenen gibt, aber dafür ist die hintergründige Spannung größer. Während der letzte Film kleine darstellerische Schwächen hatte, sind die Mitwirkenden nun ausnahmslos rundum überzeugend. Die Musik ist ebenfalls ausgezeichnet. Interessant ist auch ein moderater Wandel des anfangs nihilistischen alternden Helden, wie ein mit wechselnden Rollen gleich zweimal vorgetragener Dialog zwischen Pollack und de Groot verdeutlicht: „Warum machen wir das alles?“ „Weil es sonst keiner gut.“