Charlotte Link – Die letzte Spur

Jasmin Gerat, Barry Atsma, Andreas Herzog. Unschuldig oder Wolf im Schafspelz?

Foto: Degeto / Matt Squire
Foto Tilmann P. Gangloff

Bislang ist es weder ARD noch ZDF gelungen, „Charlotte Link“ im Fernsehen als Qualitätsmarke zu etablieren; dafür waren gerade Zweiteiler wie „Das Echo der Schuld“ und „Das andere Kind“ zu lang und zu spannungsarm. „Die letzte Spur“ von Andreas Herzog ist deutlich besser, zumal der Film eine interessante Geschichte erzählt. In Krimis geht es in der Regel um die Frage „Wer war’s?“. In dieser Romanverfilmung lautet die Frage hingegen „War er’s?“: Bei der Suche nach ihrer verschwundenen Freundin verliebt sich eine Journalistin ausgerechnet in den Mann, den die Medien längst als Mörder der Frau abgestempelt haben. Jasmin Gerat und der Holländer Barry Atsma sind ein in jeder Hinsicht attraktives Paar.

Die Geschichte beginnt am Flughafen. Elaine, Typ rothaariges Mauerblümchen, ist auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Freundin. Es herrscht Chaos, alle Flüge fallen aus; Elaine ist verzweifelt, denn sie hat das Hochzeitskleid im Gepäck. Ein gut aussehender Mann nimmt sich ihrer an. Bald darauf teilen die Nachrichten mit, dass Elaine spurlos verschwunden ist. Drei Jahre später kehrt ihre Freundin aus Gibraltar zurück; die Ehe von Rosanna Hamilton (Jasmin Gerat) ist gescheitert. Sie stand nach dem Verschwinden von Elaine ohnehin unter keinem guten Stern. Rosanna ist Kriminalreporterin und will endlich wissen, was damals mit ihrer Freundin passiert ist. Bei ihren Recherchen trifft sie schließlich auf Mark Reeve. Er gilt bis heute als der Mann, der Elaine als letzter lebend gesehen hat. Die Polizei hat ihm nie nachweisen können, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben, aber der Verdacht genügte, um seine Karriere als Strafverteidiger zu beenden und seine Familie zu zerstören. Für die Sensationspresse stand ohnehin außer Frage, dass er die Frau ermordet hat.

Man kann „Die letzte Spur“ auch anders sehen:
„Der Plot kommt zu langsam in Fahrt und schlägt ein paar Haken zu viel. Die Atmosphäre der Link-Adaption wirkt arg gekünstelt: schwaches, überkonstruiertes Verwirrspiel.“ (TV-Spielfilm)

Charlotte Link – Die letzte SpurFoto: Degeto / Matt Squire
Nicht nur was den Look angeht, ist diese Charlotte-Link-Verfilmung die bisher beste fürs Fernsehen. Dennoch: Man muss diese Art des Erzählens schon mögen, die die Wirkung für den Zuschauer über die Plausibilität der inneren Kommunikation stellt.

Die Besetzung dieses Mannes mit Barry Atsma war die beste Idee der Verantwortlichen. Der Holländer hatte schon einige markante Auftritte in deutschen Produktionen, allen voran als undurchsichtiger Investor im Schlecker-Drama „Alles muss raus – Eine Familie rechnet ab“ (ZDF 2014). In dem Film blieb lange offen, ob er Freund oder Feind ist. Von dieser Ungewissheit lebt auch „Die letzte Spur“: Nach anfänglichem Zögern erklärt sich Reeve bereit, mit Rosanna zusammenzuarbeiten. Er ist zuvorkommend und attraktiv. Dass er den Kontakt zu seinem kleinen Sohn vermisst, macht ihn sympathisch. Er klingt überzeugend, wenn er sagt, dass er Elaine damals nur aus der Patsche geholfen hat. Angeblich hatte sie genug von ihrem Leben, das ausschließlich um ihren schwerbehinderten Bruder kreiste. Trotzdem könnte Mark Reeve auch ein Wolf im Schafspelz sein. Diese Konstellation böte genug Stoff für eine fesselnde Geschichte. Damit die Handlung komplexer und prickelnder wird, geht es jedoch nicht nur um die verschwundene Elaine, sondern um zwei weitere zwischenzeitlich brutal getötete Frauen; und somit womöglich um einen Serienmörder.

Bislang ist es dem deutschen Fernsehen noch nicht gelungen, „Charlotte Link“ zu einem echten Gütesiegel aufzubauen; dafür war die Qualität der bisherigen Verfilmungen zu unterschiedlich. Gerade die zweiteiligen Adaptionen („Das Echo der Schuld“, 2009; „Das andere Kind“, 2012) waren schlicht zu lang und auch nicht sonderlich spannend. Das gilt zwar in gewisser Weise auch für „Die letzte Spur“, aber Andreas Herzog, der einige sehenswerte Beiträge zur ZDF-Krimireihe „Unter Verdacht“ sowie die beiden Filme zur leider nicht fortgesetzten ARD-Reihe „Der Metzger“ gedreht hat, setzt bei seiner Arbeit ohnehin nicht in erster Linie auf Nervenkitzel; deshalb ist die Entwicklung der Beziehung zwischen Rosanna und Mark mindestens genauso wichtig wie die Suche nach Elaine. Außerdem hat der Film noch mehr zu bieten, und das gilt nicht nur für eine überraschende Handlungswendung, weil Elaine allem Anschein nach noch lebt, sondern auch für interessant besetzte Nebenrollen, unter anderem Rainer Bock als Rosannas Chefredakteur. Der Mann ist zwar eine typische Filmfigur, aber Bock versieht ihn mit einigen reizvollen Facetten. Auch Vladimir Burlakov kommt als Rosannas Bruder Cedric zunächst kaum über den Typus „Lebenskünstler“ hinaus, spielt beim dann doch recht packenden Vorfinale aber noch eine wichtige Rolle.

Gelungen ist auch die Integration der einheimischen Schauspieler. Ausgesprochen markant besetzt und synchronisiert ist beispielsweise der zuständige Inspector (William Houston), der gemeinsam mit seiner interessanten Kollegin (Sarah Quintrell) schon bei der letzten Link-Verfilmung, „Der Beobachter“ (2015), dabei war. Damals stammte das Drehbuch von Stefan Dähnert, diesmal ist es von Stefan Wild, dem Autor der „Hafenpastor“-Filme im „Ersten“. Koautor ist in beiden Fällen Benjamin Benedict, der seit über zwanzig Jahren für teamWorx beziehungsweise UFA Fiction regelmäßig herausragende und vielfach ausgezeichnete TV-Filme produziert (zuletzt unter anderem „Nackt unter Wölfen“ und „Ku’damm 56“), aber höchstselten auch als Autor in Erscheinung tritt. Wild und Benjamin haben aus Links Vorlage einen guten, soliden Krimi gemacht, den Herzog entsprechend umgesetzt hat. Eine schlüssige Erklärung dafür, warum Rosanna drei Jahre verstreichen ließ, ehe sie sich auf die Suche nach ihrer Freundin machte, bleiben die drei allerdings schuldig.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Jasmin Gerat, Barry Atsma, Vladimir Burlakov, Rainer Bock, Anna Blomeier, Luise Berndt, William Houston, Sarah Quintrell, Mark Frost

Kamera: Wolfgang Aichholzer

Szenenbild: Michael Köning

Kostüm: Markus Ernst

Schnitt: Gerald Slovak

Musik: Chris Bremus, Steven Schwalbe

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Stefan Wild, Benjamin Benedict – Vorlage: Charlotte Link

Regie: Andreas Herzog

Quote: 5,33 Mio. Zuschauer (16% MA)

EA: 05.01.2017 20:15 Uhr | ARD

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