Billy Kuckuck (Aglaia Szyszkowitz) plagt das schlechte Gewissen. Weil sich eine Schuldnerin extrem patzig und unkooperativ zeigt, hat sie jener Jule Hellwig (Anja Knauer) kurzerhand ihren Wagen gepfändet. Sie konnte ja nicht wissen, dass die junge Frau in ihrem Auto lebt. Billy hätte eine Räumungsklage erwirken müssen, anstatt eine Pfändung einzureichen. Doch die Nichtbeachtung der Paragraphen sind für die Gerichtsvollzieherin das kleinere Übel. Ihre Sorge gehört dieser schwer durchschaubaren Frau, die sich anfangs jedem Gespräch verweigert und die jetzt plötzlich kein Dach mehr über dem Kopf hat. In einer Regennacht holt Billy die obdachlose Frau von der Straße. Allerdings nicht in die eigenen vier Wände, sondern in die Wohnung ihrer Mutter (Ursela Monn). Dort muss Billy zwischenzeitlich unterkommen, nachdem sie ihre alte Wohnung gekündigt hatte und es in der neuen einen Wasserrohrbruch gab. So ein bisschen kennt also auch sie das Gefühl, unbehaust zu sein. Doch Jule Hellwig hat bald noch ein anderes Problem. Während Anwalt Elias Demirel (Ben Braun), ein Mann der Billy sichtlich gefällt, die Sache mit dem beschlagnahmten Auto schnell geregelt hat, winkt ihr eine Anzeige wegen sogenanntem Containern. So richtig erklären kann sich Billy allerdings die Notlage dieser Frau nicht: Sie hat einen Job, und sie könnte sich durchaus eine Wohnung leisten. Hat ihre Notlage womöglich etwas mit ihrer Tochter (Vita Tepel) zu tun?
Soundtrack: Aretha Franklin („Respect“), Kim Wilde („Kids in America“), Haevn („Where The Heart Is“), Belle And Sebastian („For The Price of a Cup of Tea“)
„Mutterliebe“, der Titel der fünften Episode der ARD-Freitagsreihe „Billy Kuckuck“ dürfte kein Zufall sein. Dass das Verhältnis zwischen der obdachlosen Frau und ihrer Tochter so gut ist, wie sie Billy Kuckuck erzählt, wird jeder in Zweifel ziehen, der solche öffentlich-rechtlichen Problem-Dramedys kennt. Doch bis es zur Klärung kommt, vergehen siebzig Filmminuten. Dass dennoch nie Langeweile aufkommt, spricht für den Film. Denn wie immer gibt es auch ein Leben ohne Fall. Und bei den Kuckucks ist einiges im Busch. Gleich in der Eingangsszene gibt es ersten „Körperkontakt“ zwischen der Gerichtsvollzieherin und dem sympathischen Anwalt. Es ist an der Zeit, dass der attraktiven Heldin mal wieder ein Mann unterkommt. Den Rettungssanitäter hat sie in die Wüste geschickt und die Schäferstündchen mit ihrem Ex Gunnar (Gregor Bloéb) sind Geschichte. Und mehr noch: „Er hat zum ersten Mal das S-Wort gesagt“, weiht sie ihre Tochter (Vivien Sczesny) ein. „Sex?“, will diese wissen. Von wegen: „Scheidung!“ Doch die Krönung: Nicht von Gunnar, sondern aus der Zeitung erfährt Billy, dass bei ihrem Noch-Ehemann bald die Hochzeitsglocken läuten werden. Denn Gunnars neues Herzblatt (Katrin Wolter) prangt dort in voller Hochzeitskleid-Montur in einem Artikel über das neue Brautmoden-Geschäft von Jule Hellwigs Tochter.
Es ist also nicht nur einiges los im Hause Kuckuck, vielmehr verpasst der renommierte Drehbuchautor David Ungureit („Bist du glücklich“, „Freunde“) der Episode „Mutterliebe“ auch eine für diese Reihe ungewöhnlich dichte Dramaturgie. Kein Leerlauf, und alles hängt mit allem zusammen, ohne dass es einem als „Konstruktion“ unangenehm auffallen würde. Selbst die Plot-Dopplung – Heldin und Episodenhauptfigur haben derzeit keine eigene Wohnung – wirkt hier nicht wie die hierzulande so beliebte Erzählkonvention, denn ihr Sinn ist weniger inhaltliche Spiegelung als vielmehr, das Spiel in Gang zu setzen. Und so gibt es immer wieder kompakte szenische Highlights. Traf man sich sonst in Billy Kuckucks Wohnküche, ist diesmal Mutter Christels Wohnung an der Reihe. Eines Abends finden hier plötzlich Mutter, Tochter, Großmutter und Jule Hellwig zusammen – und dann zieht auch noch ein älterer Herr blank. Es ist Theo, Omas One-Night-Stand-Bekanntschaft. Ursela Monns Christel bekommt also ein Relaunch verpasst: Aus der sauertöpfischen, miesepetrigen älteren Dame ist ein keckes Lust-Biest geworden. Und so nervt diese Figur nun deutlich weniger und hat zudem die Funktion, ihrer Tochter indirekt Druck zu machen in Sachen Lebenslust. Auffallend häufig taucht in den Dialogen denn auch der Begriff „Spaß“ auf. Monns Christel hat nichts gegen „Spaß“ einzuwenden. Und Billy macht es keinen „Spaß“, ihrer Freundin Susanne (Eva Verena Müller) beim lautstarken „Spaß“ mit ihrem Lover zuzuhören. Aber es gibt auch einen Filialleiter eines Supermarkts (Daniel Scholz), der gar keinen „Spaß“ versteht. Der „Spaß“ der Heldin beschränkt sich bisher darauf, „dieses Arschloch“ in die Enge zu treiben. Für etwas mehr Mitgefühl schreckt sie auch vor Tricks und Nötigung nicht zurück.
Und der „Spaß“ für den Zuschauer? Der besteht in der gelungenen, gelegentlich sogar eleganten Verbindung aus Problem-Plot, dessen Lösung man bei dieser Heldin entspannt entgegensehen kann, und den launigen Privat-Plots. Und asoziale Blödmänner ins Leere laufen zu lassen, solche Haltungs-Statements, sind zwar keine Charakter(isierungs)-Kunst, machen aber in einem so flüssig-flotten Unterhaltungsfilm trotzdem Laune. Neben dem Alltäglichen kommt in „Billy Kuckuck“ auch die Komödie nicht zu kurz. Schon allein der Name der Titelfigur enthält einen Schuss Selbstreferentialität, ein Augenzwinkern, das die Themen und das Helfersyndrom der Heldin öffnet fürs Spielerische, anstatt nur ein billiger Gimmick zu sein. Und mit einem Lächeln geht alles sehr viel besser: Diese Erfahrung darf in „Mutterliebe“ vor allem die Titelfigur machen. Aglaia Szyszkowitz strahlt diesmal mit „flirtigem Unterton“. Das schöpft sehr viel besser die Möglichkeiten dieser Schauspielerin fürs Genre Dramedy aus als die strenge Alle-Last-auf-meinen-Schultern-Haltung. Die Heldin und deren Mutter auf den „Liebesmarkt“ zu schicken sollte denn auch keine Episode bleiben. Eine andere Strahle-Augen-Schauspielerin zur Episodenhauptfigur zu machen, war eine kluge Entscheidung. Ist man auch anfangs etwas irritiert, Anja Knauer („Inselärztin“) zu sehen, mit fahrigem Blick, einer geschlagenen Hündin gleich; so erfolgt dafür die „Resozialisierung“ ihrer Figur mit dieser gutaussehenden Schauspielerin umso eindrücklicher. Fazit: Auch im fünften Film hat man nicht das Gefühl, dass sich die ARD-Reihe dem Ende zuneigen könnte. Im Gegenteil. Soziale Schieflagen dürfte es künftig mehr denn je geben. Und neben aktiver Hilfe kann auch mehr Lebenslust ein Mittel sein, dem Frust etwas entgegenzusetzen.