Erst macht es Rumms, dann Bumm. Auf dem Weg zu einem Klienten legt sich Billy Kuckuck (Aglaia Szyszkowitz) mit ihrem neuen E-Roller lang, steht aber sofort wieder, um dem ehemaligen Boxchampion Kai Burdenski (Ralph Herforth) den Vollstreckungsbescheid zu überbringen. Der unterhält eine Boxschule für Kids. Und die ballen schon die Fäuste. Doch nicht nur deshalb fällt es der Gerichtsvollzieherin schwer, diesem Club, der zugleich sozialer Treffpunkt ist, den Strom abzudrehen. Billy gibt einen Tag Aufschub, doch es bringt nichts: Der legendäre „Amboss“ ist über beide Ohren verschuldet. Ex-Mann Gunnar (Gregor Bloéb), großer Boxfan, kann’s kaum fassen. Da muss doch was zu machen sein!? Billy tut es vor allem um die Jugendlichen leid, besonders um Samy (Saron Deguneh), ein gerade noch 17jähriges Powergirl aus Afghanistan, das auf der Flucht ihre Eltern verloren hat und auf das bald auch (asyl)politisches Ungemach warten könnte. Samys Kommentar zur Lage: dem Vermieter erst mal paar auf die Nase. Sie sei das größte Talent, das er trainiert habe, schwärmt Burdenski, der für sie so etwas wie Vaterersatz ist. Das gilt auch umgekehrt, da sich seine eigene Tochter (Tabea Bettin) vor Jahren von ihm losgesagt hat. Billy Kuckuck wäre nicht Billy Kuckuck, wenn sie mit vereinten Kräften nicht auch in dieser verfahrenen Kiste was deichseln könnte.
Foto: Degeto / Ben Knabe
Weiterkämpfen und nicht aufgeben, sich durchsetzen gegen Amtsschimmel und soziale Ungerechtigkeit. Das ist auch in „Angezählt“ die eine Seite der ARD-Freitagsreihe „Billy Kuckuck“. Das könnte man als moralisches Helferinnen-TV in der Endlosschleife abtun, wäre da in den bisher vier Episoden nicht die andere Seite: das augenzwinkern-spielerische Moment mit einer Heldin, die zeitgemäß mitten im Leben steht und die trotz des seriellen Formats noch immer sympathische Frische ausstrahlt. Das liegt vor allem an dem Gesicht dieser Degeto-Reihe: Aglaia Szyszkowitz. Mit dazu bei trägt aber auch die Figur des Ex, der ihr gern unter die Arme greift – und das sogar im wortwörtlichen Sinne. Die Option der beiden auf ein gemeinsames Schäferstündchen ist eine Art Running Gag, ähnlich wie die zum launigen Ritual gewordenen Szenen mit dem aufdringlichen Nachbarn Holger (Rüdiger Klink). Weniger im Griff als ihre Männer (dem 20 Jahre jüngeren Lover der ersten drei Folgen hat sie im Übrigen den Laufpass gegeben) hat die Heldin ihre Mutter (Ursela Monn) und Tochter Hannah (Vivien Sczesny), die sich mit ihrer Lust am Poetry-Slam ihr Abitur verhageln könnte.
Soundtrack: Ray Charles („Hit The Road Jack“), Police („Every Breath You Take“), Kiss („I Was Made For Loving You“), Spinal Tap („Gimme Some Money“)
Komödie ist oft Geschmackssache – aber die outrierten Szenen der drei Frauen fallen deutlich raus aus der alltagsnahen Tonlage mit Ironie- und Gag-Beigaben, wie sie Szyszkowitz und Bloéb perfektioniert haben, oder aus den beiläufig präsentierten Drama-Momenten. In denen überrascht vor allem Ralph Herforth, der seinen Ex-Champion als Gegenbild zu gängigen Boxerklischees angelegt hat. Cool, entspannt und etwas resigniert, muss sich dieser Burdenski nichts mehr beweisen, begegnet dem Leben mit Demut; das wirkt angenehm anders als das Herforth-Image aus seinen Krimi-Rollen. Vivien Sczesny hatte man aus den ersten Filmen mit weniger Gesichtsakrobatik in Erinnerung. Die häuslichen Szenen wirken ohnehin eher wie Teile eines Verlegenheitsplots; irgendwie musste man Tochter und Großmutter auch noch in die Episode reinkriegen. Da die Situation (Hannah hat andere Interessen als Schule, und die Großmutter deckt sie heimlich) so abgedroschen ist, weil tausendfach im Fernsehen erzählt, lässt sie sich nur schwer einigermaßen ernstzunehmend in Szene setzen – also muss der gute alte deutsche Komödienstil Viel Geschrei um nichts, dafür umso mehr Grimassen zum Einsatz kommen. Zwar ist das in jeder zweiten Familien-Dramödie aufkeimende Gefühl des fehlenden Vertrauens ein Problem, das durchaus in diesem leichten Genre eine Interaktion vertiefen kann, hier aber gelingt das nur bedingt. Dramaturgisch gelungen ist allerdings die Lösung dieses Konflikts: In ihrer Slam-Poetry-Performance thematisiert Hannah das Verhältnis zu ihrer Mutter. Und während sie sich das Video dazu noch mal anschaut, steht Billy hinter ihr.
Foto: Degeto / Ben Knabe
Die Heldin der Reihe ist auch für die eigene Tochter eine Heldin. Eine Frau, die niemals aufgibt. So ein Bekenntnis ist immer gut für feuchte Augen (da braucht man gar nicht den Gefühle lenkenden Score dafür). Ob es immer eine gute Lösung ist, dass Probleme des Falles, hier die (Ersatz-)Eltern-Kind-Probleme, auf die private Ebene gespiegelt werden, diese Frage sollten sich Autoren, die für Unterhaltungsfilmgenres schreiben, öfter mal stellen. In „Angezählt“ werden die Parallelen erfreulicherweise nicht überbetont. Die Sache mit Mama, der Heldin ist dann allerdings wichtig für die Geschichte und ihre Wirkung. Durch diese Betonung der „Heldenrolle“, diese fast zwanghafte Hilfsbereitschaft, bekommt das Ganze etwas Selbstreferentielles. Das regelmäßige Stolpern über den Namen und wertschätzende Worte des Klienten („Sie komische Gerichtsvollzieherin“) tun ein Übriges. In einer anderen Episode wurde schon mal Billys Helfersyndrom diskutiert. Hinzu kommen diesmal Ikonografie und Milieu. Hier die Box-Metapher, dort Billy, die Eigenwillige. Statt auf einem Pferd kommt sie mit dem E-Roller und wie andere Held(inn)en kriegt sie am Ende fast alles hin. Für solche Charaktere gibt es in der Filmgeschichte nur selten ein privates Glück. Sie haben andere Aufgaben. Nur Sex mit dem Ex passt da ausgesprochen gut ins Bild.