Diese Frau kommt nicht zur Ruhe: zwei Männer, zwei Fälle, zwei Herzinfarkte
Billy Kuckuck (Aglaia Szyszkowitz) kann und will nicht bloße Handlangerin des Staates sein. Als die Gerichtsvollzieherin einem Bäcker mit ihrem Vollstreckungsbescheid einen Herzinfarkt beschert und ihr deswegen ihre persönlich betroffene Mutter Christel (Ursela Monn) Vorhaltungen macht, mischt sich Billy mal wieder ein und recherchiert dem Fall und jenem Karl Löwe (Karl Kranzkowski) hinterher. Der soll im Internet eine Vielzahl an Waren bestellt haben – ohne sie zu bezahlen. Auf die Mahnbescheide hat dieser Mann, der sich schon genug herumärgern muss mit der Backshop-Konkurrenz, nie reagiert. Ist das Ganze also nur ein Versehen oder steckt dahinter ein systematischer Identitätsmissbrauch? Auch privat kommt Billy nicht zur Ruhe. Aus der lockeren Liaison mit dem Rettungssanitäter Lukas (Bernd-Christian Althoff) ist mehr geworden: Er spricht von Liebe, sie von „ein bisschen verliebt“. Ausgerechnet jetzt steht Gunnar (Gregor Bloéb) vor der Tür, in dessen neuer Beziehung es alles andere als rund läuft. Gegen eine Nacht auf der Couch lässt sich nichts einwenden – zumal auch Tochter Hannah (Vivien Sczesny) Papas Rückkehr auf Zeit ziemlich cool findet. Dass nicht alle Ex-Männer so liebenswerte Freunde & Helfer sind wie ihr Gunnar, muss Billy feststellen, als sie die Bekanntschaft mit einer reichlich verpeilten, alleinerziehenden Kiosk-Besitzerin mit Poststelle (Elisabeth von Koch) macht: Die hat mit der Gerichtsvollzieherin nur eines gemeinsam – einen Namen, über den andere Witze machen: Annika Post.
Der Stress-Pegel der etwas anderen Gerichtsvollzieherin steigt sichtlich
Die dritte „Billy Kuckuck“-Episode „Aber bitte mit Sahne!“ beginnt, wie man es kennt von dieser etwas anderen ARD-Helfer*innen-Reihe. Die Titelfigur befindet sich im Stress – weil sie zu ihrem Auto ein weniger gutes Verhältnis hat als zu ihren beiden Männern. Ihre Schrottkarre verabschiedet sich irgendwann, ihre Liebhaber aber sind ihr treu ergeben, und jeder von ihnen hat sogleich einen unpassenden Reparaturtipp (Hallgeber oder Benzin-pumpe?) parat. Zwei Lover mögen praktische Vorteile haben, sind aber Billys privat größtes Problem. Reicht bloßes Verliebtsein? Und was empfindet sie noch für ihren Ex, der vor drei Jahren eine 27jährige Fußpflegerin geschwängert hat? Gunnar betont auffallend häufig, dass er und Billy nur getrennt seien. Sind das nur die üblichen Revierkämpfe eines sanften Machos oder will er seine Noch-Ehefrau zurück? Großen Stress bereitet der Gerichtsvollzieherin natürlich auch ihr aktueller Fall. Das Schicksal des Bäckereibesitzers geht ihr nahe; sie verspürt eine Art Mitschuld. Als schließlich ihre Mutter mit einer weiteren Hiobsbotschaft aufwartet, kann das die zunehmend angespanntere Heldin auch nicht mehr schocken.
Der Tonlagen-Mix: Das Komödiantische wird von vielen Dramen ausgebremst
Die größte Herausforderung für die Dramödien-Reihe „Billy Kuckuck“, die soziale und persönliche Dramen, private, nicht immer bierernste Beziehungskisten und komödiantische Situationen zu erzählen weiß, ist es, die verschiedenen Tonlagen in einem stimmigen Erzählfluss zu halten. „Aber bitte mit Sahne!“ beginnt mit herzhaftem Augenzwinkern. Trotz des Herzinfarkts steht der cholerische Bäcker noch nicht im Zentrum der Handlung, vielmehr wird das durchgängige Thema der Reihe, Billy und ihre Männer, in einer boulevardesken Küchenszene, in der sich nach und nach das Stammpersonal versammelt, köstlich variiert. Erst klingelt es – und da steht der neue Lover vor der Tür, leicht irritiert, sitzt doch der Ex oder angebliche Ex breit grinsend am Esstisch, obendrein im Bademantel, den er extra noch ein bisschen offenherziger zurechtdrapiert hat. Dann kommt die nervige Frau Mama. Schließlich findet sich auch noch der seltsame Nachbar Holger (Rüdiger Klink) ein, der aufdringlich Billys Nähe sucht. Diese Figur ist zum ersten Mal eine echte komödiantische Bereicherung, da die Handlung Gregor Bloébs komisches Potential diesmal weniger fordert und auch der eitle Hahnenkampf der Nebenbuhler in der zweiten Filmhälfte keine Rolle mehr spielt. Auch der Hauptfigur vergeht das Lachen. Also gibt es bald auch keine Veranlassung mehr für Aglaia Szyszkowitz‘, ihr unvergleichliches Lächeln aufzusetzen. Aufgrund des neuen Mischungs-Verhältnisses der Genres ist der emotionale Flow etwas weniger harmonisch als in den bisherigen Episoden und der Gesamteindruck etwas getrübt, dennoch bleibt – trotz zahlreicher existentieller Bedrohungen – die Stimmung des Films weitgehend leicht. Es ist aber weniger die Erzählweise, die verhindert, dass die Handlung den Zuschauer herunterzieht, vielmehr sind es zwei Figuren, die Vernunft walten und Gnade vor Recht ergehen lassen und so erst ein Happy End möglich machen. Und natürlich hat auch Billy Kuckuck ihre Hand im Spiel.
Foto: Degeto / Martin Valentin Menke
Die 60plus-Zielgruppe im Blick? Ein Oldie-Plot, eher konventionell inszeniert
Bei „Aber bitte mit Sahne!“ setzt sich beim Sehen der Eindruck fest, als werde hier nicht mehr unbeschwert eine vielfältige, figurenreiche und tonlagenstarke Geschichte erzählt, sondern würde Autorin Kirsten Peters eher mit dem Blick auf die Zielgruppe kalkulierend plotten. Der reifen Episodenhauptfigur in „Margot muss bleiben!“ und „Eine(r) guten Mutter“ um die 30 im zweiten Film folgen nun ein gebeutelter Bäckereibesitzer im Pensionsalter und eine in einer ebenso prekären Lage befindliche Kioskbetreiberin, Mitte 40. Der narrativen Konstruktion wegen muss das alles so sein. Die Tochter der Heldin ist nur noch unbedeutender Zaungast und für das potenzielle Auslaufmodell des jugendlichen Liebhabers gibt es keinen angemessenen Ersatz. Dafür bekommt Ursela Monn als Mutter mehr zu tun. Die ARD-Zuschauer dürften das vielleicht sogar begrüßen, gespielt und vor allem inszeniert sind die Szenen mit ihr und Karl Kranzkowski allerdings erschreckend konventionell. Vor allem der süßliche, die Emotionen doppelnde Score wirkt geradezu wie ein Rückgriff in graue Degeto-Zeiten (spiegelt die Musik indes Alltag, macht es Zerlett gut). Freitagskomödien wie „Auf einmal war es Liebe“ oder „Das Leben ist kein Kindergarten“, ja selbst ein Melodram wie „Nur mit Dir zusammen“ oder Komödien vor prächtiger Landschaft wie „Verliebt in Valerie“ oder zuletzt „Eine Almhütte für Zwei“ haben gezeigt, dass es musikalisch und inszenatorisch frischer geht im Unterhaltungsfach. Der Hauptknackpunkt aber bleibt der Plot und die Durchschaubarkeit der Dramaturgie. Dass „Billy Kuckuck“ zunehmend die (Selbst-)Ironie abgeht, ist besonders schade. Wäre schön, wenn man statt ernst(haft)er Miene bald wieder mehr von Szyszkowitz‘ spitzbübischem Lächeln zu sehen bekäme.