Vermutlich gibt es ohnehin keinen günstigen Zeitpunkt für eine ausgewachsene Ehekrise, aber dieser ist denkbar schlecht: Vom Hexenschuss geplagt, denkt Obstbauer Ingstrup (Dietrich Hollinderbäumer) an den Verkauf seines Hofes. Sein intriganter Großkonkurrent Quast (Dieter Bongartz) bietet dem Einzelhandel die Äpfel zu Dumpingpreisen an und macht Ingstrup außerdem die Arbeiter abspenstig. Da kommt der Schatten, der sich aus heiterem Himmel über die Ehe legt, höchst ungelegen. Gattin Anna (Jutta Speidel) erhält Post aus der Vergangenheit: Ihre uneheliche Tochter möchte die Mutter kennen lernen. Weil Anna auf den Brief nicht reagiert, klingelt es eines Tages an der Haustür; Ines (Susanne Schäfer) konnte ja nicht ahnen, dass Anna ihrem Mann nie von ihr erzählt hat.
„Annas Geheimnis“ ist ein sympathisch bescheidener Titel für diesen Film, der sich deutlich von der üblichen Freitagsware der ARD unterscheidet. Zwar spielt die Landschaft (hier das Alte Land in Niedersachsen) wie üblich eine große Rolle, und es gibt ein paar prächtige Sonnenuntergangsbilder. Aber für die Musik zum Beispiel sind nicht wie sonst die Streicher digital verdoppelt oder gar verdreifacht worden, sodass eine klebrige Klangsauce entsteht, die in alle Ritzen dringt. Geradezu unprätentiös untermalen die Kompositionen von Carsten Bohn die Bilder und überlassen es dem Publikum, sich seine Gefühle selbst zu entwickeln.
Diesem Stil entspricht auch die Inszenierung von Jan Ruzicka, der auf die starke Geschichte von Sophia Krapoth vertraut, die wiederum durch ein vorzügliches Ensemble mit Leben gefüllt wird. Denn streng genommen ist das Auftauchen der bislang verschwiegenen Tochter bloß der zündende Funke für die eigentliche Handlung: Anna und der olle Ingstrup verzetteln sich in einer veritablen Existenzkrise, aus der beide ohne fremde Hilfe nicht wieder herausfinden würden. Gatte Christian ist zwar ein Sturkopf, aber Anna ist auch nicht unschuldig: Als ihr Mann Ines‘ Brief findet, leugnet sie und spricht von einer Verwechslung.
Auch wenn sich die Überraschung in Grenzen hält, wenn Anna die Identität des Vaters lüftet: Wie Autorin Krapoth die Geschichte zu einem Happy End führt, das zwangsläufig konstruiert ist, sich aber gar nicht so anfühlt, ist sehr respektabel und kann nur deshalb funktionieren, weil die Figuren zuvor sehr komplex angelegt worden sind. Aber auch die Handlung erfreut immer wieder mit sehenswerten Ideen am Rande. Sehr hübsch ist eine Einstellung, die auf einem Damm am Straßenrand im Gegenlicht der untergehenden Sonne eine Bank samt Mülleimer zeigt. Hier wirft Ines eine Tüte weg, die Anna ihr nach der ersten Begegnung mitgegeben hatte. Als sie weiterfährt, bleibt die Kamera da, denn kurz drauf kehrt Ines zurück, um die Tüte wieder aus dem Müll zu holen. Neben allerlei Obsterzeugnissen enthält sie auch ein Jugendfoto von Anna, die 16 war, als sie sich nach einem feuchtfröhlichen Feuerwehrball einem kaum älteren Jungen hingab; ihre Eltern steckten sie in ein Heim für schwererziehbare Mädchen, das Kind wurde ihr unmittelbar nach der Geburt weggenommen.
Eigentlich eine tragische Geschichte also, aber Jutta Speidel spielt diese Figur so, wie auch die Musik klingt: Sparsame Mittel genügen ihr, um anzudeuten, was Anna in all den Jahren durchgemacht hat. Dass es Ruzicka gelingt, den potenziell enorm melodramatischen Stoff mitunter komödiantisch zu inszenieren, ist allerdings auch eine Leistung, die wiederum eng mit den darstellerischen Qualitäten der beiden Hauptdarsteller zusammenhängt. Allerdings geht am Ende alles etwas fix: Natürlich ist Konkurrent Quast der Vater von Ines; die braucht ihm nur ein Angebot zu machen, und schon fügen sich die Dinge auf wundersame Weise.
Speidel und Ruzicka müssen die Dreharbeiten zu „Annas Geheimnis“ übrigens wie ein Déjà vu vorgekommen sein: Vor gut einem Jahr haben sie mit dem heiteren Adoptionsdrama „Meine Mutter tanzend“ (ebenfalls ARD) schon eine ganz ähnliche Geschichte erzählt. Anna Hausburg schließlich, die schon durch ihre Tochterrollen in den Wedel-Werken „Papa und Mama“ und „Mein alter Freund Fritz“ aufgefallen ist, holt aus den wenigen Auftritten als Annas Enkelin Cosima fast mehr heraus, als die Figur eigentlich hergibt. (Text-Stand: 2.5.2008)